⇒ Tenor des Blogs: Nach dem Wahlsieg von Emmanuel Macron wird der jüngste französische Präsident aller Zeiten die Hilfe von Deutschland benötigen. Und umgekehrt. 

Von Wolf Achim Wiegand

Hamburg (waw) – Nun hat Frankreich also mit dem 39jährigen Emmanuel Macron das jüngste Staatsoberhaupt seiner Geschichte. Darauf durfte man in der Wahlnacht getrost ein, zwei, drei Gläser Champagner trinken. Es ist jedoch gut, wenn man nun wieder nüchtern ist – die Arbeit fängt jetzt an!

Der Berg Arbeit, der vor dem sozialliberalen Proeuropäer steht, ist immens. Schon am 14. Mai ist die Amtsübernahme geplant. Und wir in Deutschland müssen ihm helfen, den Haufen an Altlasten abzutragen. Denn die vom gewählten Präsidenten versprochenen Erneuerungen betreffen nicht nur Frankreich, sondern uns alle in Europa.

Innenpolitisch hat Macron, der seine erste kurze Siegesrede an die Nation im Fernsehen am Wahlabend in staatsmännisch zurückhaltender Form hielt, drei Anstrengungen vor sich, die er noch am Wahlabend in Auge gefasst haben dürfte:

Erstens haben die tausenden überwiegend jungen Begeisterten seiner Bewegung „En Marche“ (Vorwärts) keinerlei politische Gestaltungserfahrung. Die muss er nun binnen Tagen in eine funktionsfähige Partei und in Kandidatengesichter umformen. Ziel: Gewinnung einer regierungsfähigen Mehrheit bei der kurz bevorstehenden Parlamentswahl zimmern zu können. Jeder weiß, wie leicht sich neue Gruppierungen im Hickhack widerstreitender Persönlichkeiten und programmatischer Vorstellungen zerlegen können.

Zweitens muss Macron zu feste Umarmungsversuche jener mit allen Wassern gewaschenen Parteipolitiker widerstehen, die bei der Wahl zwar auf der Strecke geblieben sind, aber ihm letztlich in der Stichwahl zum Sieg verholfen haben. Dazu gehören Republikaner gleichermaßen wie Sozialisten. Schon stehen Kandidaten für das Amt des Premierministers regelrecht Schlange, manche sind Gescheiterte, die neue Chancen wittern. Hier muss Macron den Eindruck vermeiden, nun doch – wie Marine Le Pen es behauptet – der Mann der Etablierten zu sein.

Drittens muss Macron mit fester Hand das dahindümpelnde Frankreich wirklich reformieren. Neue Arbeitsgesetze, liberale Maßnahmen für die Wirtschaft, um Jobs zu schaffen, und ein Entrümpeln des großen öffentlichen Sektors sind keine Maßnahmen für Beliebtheitswettbewerbe. Hier wird sich zeigen, wie stark das Durchsetzungsvermögen des jungen Präsidenten sein wird, genauso wie bei dem in Frankreich besonders bitteren Thema Anti-Terror-Kampf.

Aber die Fallstricke lauern auch außenpolitisch. Macron steht in Zeiten europäischen Stillstand für ein frisches EU- Projekt. Was er will, das sind echte Weichenstellungen. Dazu gehört die interne Demokratisierung der EU durch Einberufung von Debatten und Konvents ebenso, wie die Festlegung europäischer Sozialrechte (Arbeitslosenversicherung, Gesundheit, Bildung) oder ein europäischer Verteidigungsfonds und ein europäischer Sicherheitsrat. Ja, sogar einen europäischen Finanzminister kann Macron sich vorstellen.

Damit zeichnet sich ab: Frankreich wird künftig eine Art Mittler zwischen den südeuropäischen Ländern und den „nördlichen“ Nationen sein. Das war es früher schon. Es wäre gut, wenn die Grande Nation in der Mitte Europas diese Rolle wieder einnehmen würde.

Allerdings hat in Deutschland mancher Politiker ob dieser Vorhaben bereits kräftig geschluckt. Dennoch: es ist an der Zeit, um der EU willen mutig auf Macron zuzugehen. Der neue Präsident wird ohne Deutschland an der Seite nicht bestehen können.

Unter dem nun ausscheidenden Präsidenten François Hollande gab es nicht immer die besten Absprachen der wichtigsten EU-Mächte. Das muss sich ändern – von beiden Seiten. Macron braucht Deutschland, um innenpolitisch stark zu werden, und Angela Merkel braucht Frankreich, um störrische EU-Partner einzufangen.

Eine konstruktive Achse Paris-Bonn ist nicht nur denkbar, sondern machbar. Der junge Mann hat sich ja bereits im Vorwahlkampf bei der alten Dame Europas im Bundeskanzleramt vorgestellt – und Sympathie entdeckt. Insofern ist zu hoffen, dass sich hier zwei gefunden haben, die ein wunderbares EU-Paar ergeben.

Dass Macron es in Europa ernst meint, hat er am Wahlabend in seiner zweiten Rede glasklar demonstriert. Allein schritt er vor dem symbolträchtigen Kulturtempel Louvre aus dem dunklen Hof zum angestrahlten Rednerpult vor den jubelnden Anhängern. Und zwar nicht unter den Klängen der Nationalhymne “Marseillaise”, sondern – ja! – begleitet von Europas “Ode an die Freude“. Mehr Symbolik geht nicht! 

Santé, bonheur, France – amitié! Auf ein Neues, Europa! Make the EU great again…