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⇒ Inhalt dieses Top­ics: Wenn zwei sich so heftig stre­it­en, wie Kat­alonien und Spanien, braucht es einen geeigneten Drit­ten als Ver­mit­tler. Denn auf der Iberischen Hal­binsel dro­ht ein Kon­flikt mit blutigem Gewalt­poten­zial. Als Medi­a­tor geeignet wäre die öffentlich wenig bekan­nte Venedig Kom­mis­sion.

Von Wolf Achim Wie­gand

Ham­burg (waw) – Früher ließ man Kanonen­boote auf­fahren, um abtrün­nige Gegen­den auf Kurs zu brin­gen. In Spanien scheint man selb­st heutzu­tage nicht weit davon ent­fer­nt sein. Die Zen­tral­regierung von Madrid reagierte mit Anti-Ter­ror-Polizei gegen friedliche Wäh­ler beim ille­galen Ref­er­en­dum pro Unab­hängigkeit. Vertei­di­gungsmin­is­terin María Dolores de Cospedal (51) dro­ht sog­ar mit der Ver­legung von Mil­itärein­heit­en, um “Sou­veränität und Unab­hängigkeit Spaniens zu garantieren und die Integrität sowie die ver­fas­sungsmäßige Ord­nung zu vertei­di­gen.”

Madrid und die Region­al­regierung sind jeden­falls so heil­los zer­strit­ten, dass ein gefährlich­es Auf­schaukeln möglich ist. Auf­s­tach­ler gibt es auf bei­den Seit­en. Erz­na­tion­al­is­ten aus der sehr kon­ser­v­a­tiv­en spanis­chen Regierungspartei PP drän­gen Pre­mier­min­is­ter Mar­i­ano Rajoy (62) zum Durch­greifen mit har­ter Hand. Region­al­präsi­dent Car­les Puigde­mont i Casama­jó (54) wiederum ste­ht unter Druck zu alles entschlossen­er Sep­a­ratis­ten.

Manch entset­zter inter­na­tionaler Beobachter hält es daher für nicht völ­lig abwegig, dass – zumin­d­est sprich­wörtlich — „Kanonen­boote“ vor Barcelona auf­tauchen. Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wis­senschaft und Poli­tik warnt: „Der Kon­flikt wird sich weit­er zus­pitzen“. Man­gels Gesprächen hät­ten sich nach und nach die Radikalen durch­set­zen kön­nen.

Die dro­hende Gewalt­spi­rale kann offen­bar nur noch ein Ver­mit­tler abwen­den. Doch wer ist dafür geeignet? Felipe VI. (49), als König aller Spanier eigentlich prädes­tiniert, hat sich mit ein­er unsen­si­blen Rede bere­its selb­st dis­qual­i­fiziert. Die Europäis­che Union (EU), ein Wun­sch­part­ner von kata­lanis­ch­er Seite, kann und will nicht ein­greifen. Es han­dle sich um einen „innerspanis­chen Kon­flikt“, sagt Vize-Kom­mis­sion­spräsi­dent Frans Tim­mer­mans zum Ärg­er manch­es Europaab­ge­ord­neten. Weit­ere ins Gespräch gebrachte Per­sön­lichkeit­en von Barack Oba­ma bis Kofi Annan sind bis­lang nur Fata Mor­ganas.

Liegt die Lösung in Venedig?

Wer also kann Spanien und Kat­alonien vor dem Verder­ben ret­ten? Mein Vorschlag lautet: schaut nach Venedig! In der Lagunen­stadt tagt regelmäßig ein einzi­gar­tiges Gremi­um mit enormem Sachver­stand: die Venedig Kom­mis­sion. Sie wäre wie keine andere Ein­rich­tung geeignet, den Stre­i­thäh­nen geeignete Vorschläge für eine all­seits akzept­able Befriedungsstrate­gie zu unter­bre­it­en. Warum?

Die Venedig Kom­mis­sion ist jen­seits von Fachkreisen weit­ge­hend unbekan­nt. Doch hin­ter ihr ver­birgt sich das ein­flussre­iche ver­fas­sungsrechtliche Beratungs­gremi­um des Europarates, zusam­menge­set­zt aus hochkaräti­gen Juris­ten und poli­tis­chen Experten aus 61 Län­dern. Die EU und die Organ­i­sa­tion für Sicher­heit und Zusam­me­nar­beit (OSZE) sind ständi­ge Gäste.

Das Beson­dere: die Mit­glieder der Venedig Kom­mis­sion wer­den zwar von den Mit­glied­sregierun­gen entsandt, doch haben die Jura-Pro­fes­soren, Ver­fas­sungsrichter und Poli­tik­er kein­er­lei Weisun­gen auszuführen. Es sind Fach­leute für Demokratie, Men­schen­rechte und Rechtsstaatlichkeit, die Natio­nen dabei helfen, ihre Rechtsstruk­turen in Ein­klang mit europäis­chen Stan­dards zu brin­gen. Zudem leis­ten sie Kon­flik­t­man­age­ment und küm­mern sich um den rechtlichen Rah­men für Wahlen und Ref­er­en­da. Wer, wenn nicht diese Autoritäten kön­nten Spanien und Kat­alonien aus der Patsche helfen? 

Das Beispiel Baskenland ist eine Warnung

Dass der Kon­flikt um Kat­alonien blutig wer­den kön­nte, das zeigt ein Blick in die spanis­che Geschichte. Ins­beson­dere im stolzen Basken­land bran­nte die Gewalt jahrzehn­te­lang. 1937 wur­den die dor­ti­gen Regio­nen Bizka­ia (Viz­caya) und Gipuzkoa (Guipúz­coa) zu „Ver­räter­prov­inzen“ erk­lärt und ihnen fiskalis­che Son­der­rechte ent­zo­gen. Ab 1959 ver­sucht­en radikal-nation­al­is­tis­che Basken, die Unab­hängigkeit her­beizubomben. Promi­nentes Opfer: Spaniens Min­is­ter­präsi­dent Luis Car­rero Blan­co (1904 – 1973), der in Madrid durch eine unterirdis­che Auto­bombe umkam.

Erst 2017 (fast 60 Jahre nach Grün­dung!) gab die bask­ische Ter­ror­gruppe “Euska­di ‘ta Askata­suna” (ETA) nach eige­nen Angaben alle ihre Waf­fen ab. Es waren 3,5 Ton­nen Waf­fen, Sprengstoff und andere gefährliche Mate­ri­alien. Doch hun­derte Tote säu­men ihre Blut­spur.

Dro­ht nun auch Kat­alonien eine ähn­liche Peri­ode der Gewalt? Wie stark im Würge­griff radikaler Anhänger sind Puigde­mont und Rajoy?

Spaniens Rettung muss bald kommen

Die Venedig Kom­mis­sion kön­nte Spaniern und Kata­la­nen geräusch­los und diskret eine Möglichkeit zur Lösung weisen — obwohl sie selb­st erst kür­zlich die Zuläs­sigkeit des Unab­hängigkeits-Ref­er­en­dums in Zweifel gezo­gen hat. Doch das hoch geschätzte Gremi­um beweist dieser Tage im schwieri­gen Osteu­ropa, dass es kom­plizierte Sachver­halte weg­weisend bün­deln kann. Für Georgien hat sie am Entwurf für eine neue Ver­fas­sung mit­gear­beit­et. Für die Ukraine zim­merte die Kom­mis­sion ein demokratis­ches Ver­fahren für die Beru­fung spezieller Anti-Kor­rup­tions-Richter. Und Arme­nien erhielt erst diese Woche das Güte­siegel der Kom­mis­sion für eine gelun­gene Neuord­nung des Jus­tizwe­sens.

Ohne Ver­mit­tlung von außen geht es zwis­chen Kat­alonien und Spanien jeden­falls kaum noch. Die Ner­ven der Beteiligten liegen blank und kön­nen jed­erzeit reißen. Es dro­hen „Kanonen­boot-Diplo­matie“ auf der einen und Gewaltgedanken auf der anderen Seite. Wenn zwei sich so heftig stre­it­en, dann braucht es einen kundi­gen Drit­ten als Ver­mit­tler. Ich finde: jet­zt muss die Stunde der Venedig Kom­mis­sion kom­men. Und zwar schnell! 

Die Home­pages der Kon­tra­hen­ten:

Region­al­regierung Kat­alonien

Zen­tral­regierung von Spanien