Atomwaffen: Europa, mach Druck…
Von Wolf Achim Wiegand
Hamburg (waw) – Die Drohung des USA-Präsidenten Donald Trump, das Abkommen zur Abschaffung atomwaffenfähiger Mittelstreckenraketen (INF) mit Russland zu kündigen, hat in Europa zu Recht viel Besorgnis ausgelöst. Es gilt als der folgreichste Abrüstungspakt aller Zeiten. Sollte sich nun ein neues Wettrüsten der beiden nicht zimperlichen Mächte ergeben, wären wir in Europa das Kind in der Mitten. Das wäre dann kein Alptraum, sondern ein Déjà-vu, denn diese Situation haben wir in den 1980er Jahren zu Sowjetzeiten schon einmal erlebt.
Trotz der schrecklichen Aussichten sollten wir Europäer ruhig Blut behalten, aber zugleich wachsam und aktiv sein. Zunächst handelt es sich ja „nur“ um eine Trumpsche Drohung. Damit bezweckt er die Einleitung neuer Verhandlungen zur atomaren Begrenzung von Rüstung. Damit aber keine Eskalation kommt müssen die EU-Nationen offensiv Diplomatie in Moskau wie in Washington betreiben.
Ob es zu Zuspitzungen kommt, wird auch davon abhängen, wie Putin reagiert. Leider ist der, ähnlich wie sein Kollege im Weißen Haus, vor Überraschungstaten nicht gefeit. Allerdings ist fraglich, ob der Kreml eine erneute Rüstungsspirale durchhalten könnte. Zu sehr steht Russland auf wirtschaftlich tönernen Füßen und ist ein Scheinriese, “eine Tankstelle verkleidet als Staat” mit der Wirtschaftskraft Italiens. Die Destabilisierung der Ukraine, die Besetzung der Krim und vor allem das kostspielige Kriegsabenteuer in Syrien zieht indes enorme Gelder fürs Militär ab. Diese Mittel müssten eigentlich dringend in moderne Infrastruktur und in die Reform des russischen Renten- und Gesundheitssystems gesteckt werden – alles Themen, bei denen viele Russen murren.
Die korrekte Einhaltung des drei Jahrzehnte alten INF-Abkommens ist in vitalem europäischem Interesse. Was Trump behauptet, nämlich, dass Russland atomar bestückbare SSC-8-Marschflugkörper mit einer Reichweite von 2.600 Kilometern stationiert, hat längst auch die Gesamt-NATO alarmiert. Das Bündnis wirft Russland diesbezüglich „Leugnung und Verschleierung“ vor. Putin gibt zu dem Raketensystem bislang keine überprüfbaren Angaben heraus. Allein das macht ihn verdächtig.
Was nun passieren kann, ist, dass die USA darauf drängen werden, in Europa zusätzliche atomare Abwehrsysteme zu installieren, wie sie es offensichtlich zum Ärger Russlands in Deveselu, Rumänien, bereits 2016 getan haben. Wegen seiner strategischen Lage könnte speziell Deutschland gefordert sein. Wir waren schon einmal im Fokus, als es bei uns um US-Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing II XR und Marschflugkörper vom Typ Griffin ging. Mitte der 1980er-Jahre lagerten schätzungsweise 7.300 US-Atomwaffen in Europa, unter anderem in etwa 130 Spezialdepots der Bundesrepublik. Die UdSSR lagerte in der DDR Atomraketen.
Die Politik in Berlin muss es vermeiden, dass Deutschland wieder eine Abschussbasis für die Amerikaner wird und damit ein noch mehr bevorzugtes Ziel im Visier der russischen Militärs. Auch auf Moskau muss eingewirkt werden, die INF-Abrüstungsvereinbarung einzuhalten und eine neue Kalte-Kriegs-Situation abzuwenden. Die Bundesregierung sollte im Geleit der Europäischen Union als interessenausgleichender Faktor zwischen den USA und Russland wirken und alle Register der Diplomatie ziehen.
Zugleich braucht Europa eigene militärische Stärke. Angesichts der Weltlage mit China am Horizont und explosivem Konfliktpotenzial in vielen anderen Weltgegenden, darunter rund um Europa, muss die EU sich parallel zum (nicht gegen das) NATO-Bündnis besser wappnen. Wir müssen in Europa bei der militärischen Zusammenarbeit rascher denn je zur engst möglichen Kooperation der EU-Streitkräfte inklusive der Atommacht Großbritannien kommen – das Fernziel heißt: Europäische Armee.