Seegangster lauern im Golf von Guinea

⇒ Inhalt dieses Blogs: Piraten bedrohen die internationale Schifffahrt vor Westafrika. Das ist seit Jahren bekannt. Doch anders als vor der Küste im Osten von Afrika bekommen die Reedereien im Golf von Guinea keinerlei militärischen Schutz. Hier mein Video zum Text.

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Von Wolf Achim Wiegand

Hamburg (waw) – Kurz vor seinem Ziel wurde die Reise des deutschen Containerfrachters “Pomerenia Sky” abrupt unterbrochen. Bis an die Zähne bewaffnet gingen Piraten rund 60 Kilometer vor der Küste Nigerias mit einem Schnellboot längsseits und enterten das über 200 Meter lange Hamburger Schiff in Windeseile. Kapitän und Crew, die aus Angola kommend zum nigerianischen Freihafen Onne wollten, hatten keinerlei Chance zum wirksamen Widerstand. Die Freibeuter verfrachteten elf Seeleute auf ihr Boot und brausten pfeilschnell ab in Richtung Land.

Das war im Herbst 2018. Damals begannen für die neun an Bord zurückgelassenen Matrosen und Offiziere und ihre Reederei Döhle Group als Eigentümer quälend lange Wochen. Würden ihre Kameraden und Angestellten je wieder lebend zurückkommen? Vor fast genau einem Jahr waren bereits sechs Besatzungsmitglieder der “Demeter” – zufällig ebenfalls aus dem Hause Döhle – vor Westafrika entführt und nach 18 Tagen wieder freigelassen worden.

“Wir werden unser Äußerstes tun, um die Wiederholung so einer Situation zu vermeiden,” schrieb die Reederei damals in ihrem Weihnachts-Newsletter “Homeport”. Doch nun hatte es die Hamburger mit der noblen Adresse Elbchaussee 370 erneut getroffen. Und wieder lief eine komplizierte diplomatische Freilassungsmaschinerie an. Beteiligte: die Eigentümer, die dänische Reederei Maersk Line als Schiffscharterer, der Betreiber MidOcean (IOM) Ltd und die Regierungen der unglücklich ins Ungewisse verschleppten Menschen aus Polen, den Philippinen und der Ukraine.

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Grafik: oceansbeyondpiracy.org

Das Piraterieproblem vor Westafrika ist nichts Neues. Die Schifffahrtswelt, internationale Organisationen und zuständige Sicherheitsbehörden wissen seit Jahren, dass vor Westafrika zu allem entschlossene Meeresgangster lauern. So, wie lange Zeit nur an der anderen Küste des Kontinents, im Osten. Vor Somalia gehen seit 2008 Marinen vieler Länder – darunter im EU-Auftrag von der Bundeswehr und sogar aus China – robust mit UNO-Mandat ausgerüstet gegen Angriffe auf Handelsschiffe vor. Selbst auf Festland dringen Spezialmilitärs vor, um Piratennester unschädlich zu machen.

Frachter vor Westafrika sind dagegen praktisch ungeschützt. In dortigen Gewässern sind keine EU, keine NATO, kein kampffähiges Kriegsschiff in Sichtweite.

Christian Denso vom Verband Deutscher Reeder (VDR) in Hamburg spricht indessen von einer “immer größeren Bedrohung” durch solch “brutale Verbrechen”. Sie hinterließen oft “neben unmittelbaren Verletzungen tiefe seelische Wunden bei den Opfern und ihren Familien.”

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Tatsächlich war der Schrecken auf dem mit Liberia-Flagge fahrenden deutschen Schiff nicht der erste Fall. Vor ihm und später ereigneten sich noch viele weitere versuchte und gelungene Attacken, etliche der Vorfälle sind nie gemeldet worden. Allein am letzten Wochenende des Januars 2019 kamen innerhalb von 24 Stunden gleich drei Schiffe vor Nigeria ins Fadenkreuz der Verbrecher: die Massengutfrachter “Levante” (Flagge Malta) und “Allegra” (Liberia) sowie der Rohöltanker “Samurai” (Liberia). Die Piraten konnten jeweils abgewehrt werden, dabei kam es bei einem Schusswechsel zu größeren Beschädigungen an der “Allegra”.

Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (NDOC) warnt schon seit 2011 – also seit acht Jahren – vor den Gefahren. Immer wieder kommt es in den Gewässern vor der nigerianischen Erdöl- und Erdgasküste sowie vor Benin, der Elfenbeinküste, Ghana, Guinea und Togo zu Übergriffen. Dabei interessieren sich die lokalen Seepiraten meistens für die Ladungen auf der wichtigen Rohstoffroute. Sie pumpen illegal Öl um, das lukrativ auf dem Schwarzmarkt landet, und rauben wertvolle Ladung von Bord. Geiselnahmen wie auf der “Pomerenia Sky” nehmen aber deutlich zu.

Versuche der UNO, die Sicherheitskräfte der anliegenden Länder im Rahmen des Global Maritime Crime Programme (GMCP, klicke Video) für den professionellen Kampf gegen seegestützt marodierende Landsleute zu schulen, sind nicht sehr erfolgreich. Und das, obwohl die Seekriminalität den Ländern am Golf von Guinea selbst schadet. Die regionalen Marinekräfte verfügen über zu wenig geeignete Schiffe, verfügen nicht über die passende Technik und sind bisweilen wenig motiviert. Die Unterstützungsprojekte der EU zum Aufbau eigener Abwehrkräfte zeigen wenig Erfolg.

Der Reederverband sieht darin ein Problem: “Die Anrainerstaaten als souveräne Staaten müssen dringend mehr tun, um die Piraterie in ihren Gewässern nachhaltig zu bekämpfen.

Die Piraten sind unterdessen wild entschlossen. Sie haben nichts zu verlieren, denn sie handeln vor dem Hintergrund bitterer Armut. Viele Täter gehören zu Bevölkerungsgruppen, die keinen Anteil am ökonomischen Reichtum haben. Den streichen korrupte Eliten ein, so der britische Piraterieexperte Christian Bueger.

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Für die Schifffahrt aber ist es egal, aus welchen Gründen sich Kriminelle bereichern – sie brauchen zuallererst eines: sichere Handelsrouten. “Nur internationales Handeln kann den Anstieg von Piraterie stoppen,” beklagt die internationale Schifffahrtsorganisation BIMCO (Baltic and International Maritime Council) mit Sitz in Bagsværd, Dänemark. “Militärisch und bei der Strafverfolgung ist eine internationale Operation unkompliziert, alles was fehlt, ist der Wille zu handeln.”

Der VDR hängt das etwas tiefer. Ihm würde es schon genügen, wenn die Schiffahrt vor Westafrika “ähnlich wie vor Somalia zumindest ein stets aktuelles und valides Lagebild” bekäme, um Risiken besser einschätzen zu können. Das wäre machbar. So arbeiten die europäische Grenzagentur Frontex, die EU-Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) und die Fischereiaufsichtsagentur (EFCA) auf einer modellhaften neuen Aufklärungsplattform zusammen. Ein Pilotprojekt erprobte erfolgreich den Einsatz von Drohnen, Überwachungsflugzeugen und Satellitenüberwachung u.a. zur “Identifizierung und Verfolgung von langsamen und schnellen Schiffen” und “das Erkennen von kriminellen Handlungen an Bord.”

Erst vor einem halben Jahr hat die Europäische Union (EU) die bewaffneten Schutzmaßnahmen vor Ostafrika (Operation Atalanta) bis zum 31. Dezember 2020 verlängert. Warum ist so etwas nicht für Westafrika angedacht? Die Zahlen der Abteilung für Seekriminalität bei der Internationalen Handelskammer in London sprächen dafür:

  • alle 2018 weltweit gemeldeten Hijackings haben sich in den fraglichen Gewässern ereignet,
  • auf 13 Schiffe wurde geschossen,
  • 130 der 141 rund um den Erdball entführten Geiseln wurden vor Westafrika verschleppt.

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Selbst viel dagegen tun können die Schiffseigner nicht. Anders als vor Ostafrika dürfen sie in nigerianischen Gewässern laut Gesetz nicht einmal private Sicherheitsleute an Bord nehmen. Der Weltvereinigung der Trockengüterschifffahrt, Intercargo, bleibt daher nur übrig, ihren Kapitänen Hinweise zur Vermeidung von Piratenangriffen zu geben:

“Vermeiden Sie in Küstennähe weitest möglich Stopps und Langsamfahrten, verraten sie über Funk nicht ihre Positionen und stellen sie den Motor so ein, dass sie jederzeit Sofortmanöver starten können.”

Übrigens:

Der unfreiwillige Landgang der elf gekidnappten Seefahrer von der “Pomerenia Sky” ging glücklicherweise glimpflich zu Ende. Nachdem Krisenzentren über verschlungene Wege mit den Freibeutern vermutlich ein Lösegeld für die verschwundene Crew der “Pomerenia Sky” ausgedealt hatten, kamen die Seeleute kurz vor Weihnachten “an einem sicheren Platz” frei. Für die acht Polen, zwei Philippinos und einen Ukrainer war das wohl das schönste Weihnachtsfest ihres Lebens.

Das polnische Außenministerium, das die Angelegenheit bearbeitet hatte, bedankte sich damals in aller Form bei der Reederei Döhle und den Behörden in Nigeria für die “Kooperation”. In ihrem Statement konnte sich die polnische Regierungsbehörde nicht den Hinweis verkneifen, dass es gut wäre, wenn Schiffsbesatzungen vor dem Anheuern “checken” würden, ob der Arbeit gebende Schiffseigner “eine adäquate Versicherung gegen Vorfälle in gefährlichen Weltgegenden” abgeschlossen habe. Das klang ein bisschen so, als seien die Opfer für ihr Schicksal selbst verantwortlich.

Die Narben an den Seelen der elf Seeleute kann so ein kühler Hinweis jedenfalls nicht heilen. Und sicherer macht er die Seefahrt vor Westafrika auch nicht. Obwohl ganz Europa weiß, dass seine Handelsschiffe vor Nigeria in gefährlichen Gewässern fahren, ist keinerlei Schutzaktion in Planung, wie der Autor auf Anfrage in Brüssel erfahren konnte. Für Polen war es damals bereits das fünfte Mal seit 2013, dass Landsleute im Golf von Guinea in Gefangenschaft gerieten.

Die europäische Staatengemeinschaft legt beim Thema Piraterie vor Westafrika die Hände in den Schoß. Unterdessen wird irgendwo am Golf von Guinea bereits die nächste Attacke auf die zivile Schifffahrt geplant. Das ist sicher.

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Festnahme von Piraten vor Somalia, Quelle: You Tube