Das Ereignis ist schon einige Monate her, ist aber politisch-historisch gesehen immer noch eine Betrachtung wert: die hollywoodreife Neujahrsrede des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong-un zu Beginn des Jahres 2019. Sie hatte visuell und damit propagandistisch etliche Signale um die Welt gesendet… was war damals los?
Hamburg/Pjöngjang (waw) – Bilder machen Geschichte und Kleider machen Leute. Dass dieses nicht nur geflügelte Worte sind, das hat Nordkoreas Partei- und Staatschef Kim Jong-un zum Auftakt des Jahres 2019 eindrucksvoll bestätigt. Die ein halbes Jahr nach dem Gipfel von Singapur gehaltene Neujahrsrede war PR-mäßig sehr speziell, weil noch nie ein Führer des isolierten Landes eine Ansprache so inszeniert hatten.

Zu Beginn war das huldvolle Hinabsteigen des „Obersten Führer“ über eine längere Treppe – wie bei einem Showauftritt großer Stars. Dem 36jährigen Machthaber der Demokratischen Volksrepublik Korea folgten drei Personen: Kim Chang-son, der Stabschef und ZK-Vollmitglied, Jo Yong-won, der Vizedirektor der allmächtigen „Leitungs- und Führungsabteilung“ der Staatspartei, und Kims einflussreiche Schwester und Propagandaexpertin Kim Yo-jong, Kandidatin des Politbüros. Das Hinabschreiten sollte ein einiges Quartett demonstrieren. Dass Kim immer einen Schritt vorausging sollte zeigen, wer aber das Sagen hat.
Interessant ist, dass die nordkoreanische Führung die TV-gerecht ausgeleuchtete Treppe zum Gongschlag einer Glocke hinabzugehen begann. Beobachter fühlten sich an die UdSSR zu Zeiten Josef Stalins erinnert. Damals pflegte das staatliche Sowjetradio in Moskau den neuen Tag pünktlich um null Uhr mit dem Klang einer Kremlglocke anzukündigen (wen’s interessiert: hier mehr dazu).
Der große Führer nahm anschließend in einer mit großer Wahrscheinlichkeit eigens zurechtgezimmerten und mit dunklem Holz getäfelten Bibliothek in einem großen Ledersessel Platz. Das war anders als frühere Auftritte, wo eher karge Umgebungen gewählt wurden – nach dem Motto: auch die Führung darbt. Offensichtlich sollte dieses Mal das freudlos-sozialistische Staubimage abgelegt und ein “westlicher Stil” simuliert werden. Kim saß da, wie es US-Präsidenten zu tun pflegen – schaut her, ich bin euch ebenbürtig!

Anders als sonst war auch die Art, wie Kim auftrat. Er sprach nicht zu großen Massen, zu “seinem Volk“, also von einem Podium in einer Halle oder im Freien aus, sondern 1:1 zum Fernsehzuschauer. Auch das war offensichtlich ngelehnt an den Habitus von US-Präsidenten bei wichtigen Ansprachen an die Amerikaner und die Welt.
Für den Nordkorea-Experten ebenfalls erwähnenswert: Kim trug einen westlich gestylten Anzug mit Krawatte, nicht die übliche Kaderuniform in Schwarz – er wollte wohl den “kosmopolitischen Staatsmann abgeben“, analysiert Rüdiger Frank, Ostasien-Professor an der Universität Wien.
So ganz überzeugend gelang Kim die präsidiale Geste jedoch nicht, beobachtete Frank: “Die Sitzhaltung schien nicht sehr bequem zu sein; Kim bewegte sich ein bisschen hin und her, während er redete – vielleicht wäre ein Sessel mit niedrigeren oder gar keinen Armlehnen besser für ihn gewesen.”

Es passierten noch mehr verräterische Pannen. Sie zeigten, dass die Regisseure der Kim-Show das neue Format nicht ganz im Griff hatten. So war leicht zu erkennen, dass die wie live wirkende Sendung in Wahrheit aufgezeichnet war. Denn zu Beginn der Übertragung stand die Uhr hinter Kim auf 12:03, am Ende auf 12:55 – dabei war die Sendung nur 31 Minuten lang. Es bleibt eine Lücke von 21 Minuten, die herausgeschnitten wurden, weil der nordkoreanische Machthaber sich verhaspelt hatte, eine Pause brauchte oder weil der Inhalt nicht mehr opportun war… wer weiß das schon. Festzuhalten ist laut Frank:
“Das Regime kann nicht einmal eine 31-Minuten-Rede des Führers ohne Macken orchestrieren – wie will es dann fachkundigen Besuchern des Landes über mehrere Tage lang perfekte Potemkin’sche Dörfer präsentieren?“
Es gab noch mehr Ungereimtheiten. So hielt Kim zwar ein auf simplen Papierseiten gedrucktes Manuskript in der Hand, auf das er jedoch nur selten schaute. Da nicht anzunehmen ist, dass der 35jährige Dynastiesprössling die Rede auswendig hersagen konnte, schaute er vermutlich in einen Teleprompter. Das aber machte er nicht geübt – die Augen wanderten unübersehbar lesend immer wieder von rechts nach links.

Zugleich vermied Kim den direkten Blick in die Kamera (siehe Foto oben), wie es einem Führer, der sein Volk anspricht, eigentlich geziemte. Ebenfalls fehl am Platz: eingeblendeter Applaus zu Beginn und am Ende der Rede – das gibt es nicht in einem intimen Bibliotheksset und “das wirkte ein bisschen wie eine US Sitcom,” mokiert sich Frank.
Wie gesagt: es ist schon einige Zeit her, dass Kim diese Rede hielt. Sie sollte der Welt einen Imagewandel vorführen, offensichtlich mit Blick auf das wenige Wochen später in Vietnam anberaumte zweite Treffen mit US-Präsident Donald J. Trump, an das hohe Erwartungen gestellt wurden. Dazu fuhr Kim eigens in einem kugelsicheren Zug etwa 4500 Kilometer weit bis nach Hanoi – wo der Gipfel vollkommen ergebnislos endete. Kim war dabei nicht der begossene Pudel.
Dieser Tage setzte Kim seinen Widerpart mit der Verlautbarung unter Druck, er erwarte von den USA bis Ende 2019 ein angemessenes Angebot für den Abbau der Atomrüstung. Schon möglich, dass die Nordkoreaner politische Potemkin’sche Dörfer besser inszenieren können, als biedere Bibliotheken fürs Fernsehen. Noch…
