Außenpolitik der lahmen Enten

Europa ist weltweit ein wirtschaftlicher Riese. Außenpolitisch dagegen stellt es sich oft als Zwerg heraus. Warum ist das so?

Von Wolf Achim Wiegand (Text ist am 31.10.2019 erschienen bei FORUM – Das Wochenmagazin)

Deutlicher konnte man den Europäern nicht vorführen, was eine außenpolitische Harke ist. Mehr als 40 afrikanische Staats- und Regierungschefs pilgerten in den letzten Oktobertagen 2019 in das russische Seebad Sotschi. Dort machten sie dem Mann die Aufwartung, der ihnen neue Perspektiven versprach: dem zufrieden lächelnden Wladimir Putin.

Während die Europäische Union (EU) auf dem Fluchtkontinent nach außen hin eher unsichtbar ist, schickt sich Russland an, in Afrika eine dominierende Macht zu werden. Den Anspruch, in den rohstoffreichen Gegenden zwischen Mittelmeer und Tafelberg eine dominierende Macht zu werden, kaschiert der Kreml kaum. Für die Afrikaner bietet sich ein vermeintlich einfacher Partner an: Fragen nach Menschenrechten etwa, die für Europa eine große Bedeutung haben, stellt ein Putin nicht.

Andere Historien – andere Interessen

Der europäische Blick auf Afrika ist zudem stark von der Fluchtproblematik geprägt. Szenarien mit Millionen von Migranten bestimmen die Sicht in der EU auf den Kontinent mit dem weltweit größten Bevölkerungswachstum. Auch wenn die Europäer seit Jahrzehnten entwicklungspolitisch und wirtschaftlich stark in Afrika engagiert sind und Experten den riesigen zukünftigen Absatzmarkt erblicken – in der öffentlichen Wahrnehmung Europas hat Afrika vielfach eher Bedrohungspotenzial denn Chancen.

Es ist auch so, dass die EU gegenüber Afrika oftmals mit 27 nationalen Stimmen spricht. Die bereits 1993 vereinbarte Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) hat noch nicht dazu geführt, dass die Europäische Union mit einer Stimme spricht. Zu unterschiedlich sind immer noch die Interessen, Historien und geografischen Gegebenheiten zwischen Nordkap und Sizilien. Und das gilt nicht nur für die diplomatischen Bemühungen mit Afrika, sondern auch gegenüber anderen Playern wie Asien oder Südamerika.

Der Vertrag von Lissabon, der 2009 in Kraft trat, sollte die Vielstimmigkeit Europas eigentlich beenden. Damals wurden ein eigener diplomatischer Dienst und der Hohe Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik eingeführt. Letzterer ist verpflichtet, das Europäische Parlament regelmäßig zu informieren und zu konsultieren. Dennoch hört die Welt wenig auf Brüssel. Bei globalen Krisen ist die EU meistens nur ein Zaungast oder gerät zwischen die Fronten. Jüngste Beispiele sind der Handelskrieg zwischen den USA und China, die türkische Invasion in Syrien oder die Iran-Krise – treibende Kraft sind die Europäer nirgendwo, obwohl sie der stärkste Wirtschaftsblock der Welt sin

Die EU hat die Durchschlagskraft einer Kriegserklärung Liechtensteins an Neuseeland,” tweetete ein Sarkast kürzlich im Internet. Dabei sind die außenpolitischen Herausforderungen riesig. Die Welt befindet sich im Umbruch: Die atlantische Achse, in deren Windschatten es sich für Europa jahrzehntelang trefflich segeln ließ, ist zerbrochen, und in vielen Ländern suchen populistische Akteure neue Wege. Europa indes scheint zu versuchen, das Bisherige erhalten zu wollen. Nicht so viel Gestaltungswille, aber jede Menge Beharrung schimmern durch.

Besonders schwer tut sich Europa mit einer gemeinsamen Sicherheitspolitik. Dabei hatte der scheidende Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schon voriges Jahr bei der Münchner Sicherheitskonferenz an die Europäer appelliert: „Die Umstände bringen es mit sich, dass wir uns um Weltpolitikfähigkeit bemühen müssen.” Dazu gehört militärische Stärke in einer Welt, in der neue Akteure aufrüsten, neue Machthaber schamlos intervenieren und Drohpotenziale wieder gesellschaftsfähig werden. Aber der Weg zu einer Europäischen Armee ist noch weit, auch wenn die Koordination der höchst unterschiedlichen Streitkräfte erste Formen annimmt.

Unterdessen sind Andere dabei, die Welt neu zu ordnen. Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping folgt einer globalen geostrategischen Idee, die sein Land zur omnipräsenten Supermacht puschen soll. Auch Donald Trump handelt nur noch mit dem Blick auf den vermeintlichen Vorteil seines eigenen Landes.

Unterdessen rühren zahlreiche Regionalherrscher mit militärischen Mitteln eigene Süppchen an. Der Türke Recep Tayyip Erdogan will sich unbedingt sein Osmanisches Reich erschaffen. Die Mullahs im Iran und die Saudi-Herrscher heizen blutige Konflikte zum gegenseitigen Schaden an. Nordkoreas Kim Jong-un vergrößert sein Waffenarsenal und spielt gleichzeitig Friedensschalmeien. In Kaschmir sind die zwei Atommächte Indien und Pakistan kräftig über Kreuz. Russland hält den Konflikt um die Ukraine und die Krim am Kochen.

EU wirkt oft zu träge und defensiv

Die Unsicherheit in der Welt ist überall sichtbar. Doch Europa bleibt seltsam starr. Der letzte wirklich große außenpolitische Erfolg der Europäischen Union war das Nuklearabkommen mit dem Iran (JCPOA) vom 14. Juli 2015. Nun, wo Washington es aufgekündigt hat, verbleibt der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini nicht viel mehr, als den Schritt der Trump-USA zu „bedauern”. Die EU wirkt defensiv.

Die Zuschauerrolle Europas offenbart einen Webfehler bei der Verfassung der EU. Außenpolitik ist immer noch eines der Politikfelder, in denen das Einstimmigkeitsprinzip gilt. Nur ein einziges Veto eines der (noch) 28 Länder des Staatenverbundes bringt außenpolitische Vorhaben zum Fall. So zuletzt geschehen beim Versuch, die Syrien-Invasion des EU-Nachbarn Türkei zu stoppen: Ungarns notorischer Quertreiber Viktor Orbán verhinderte Sanktionen.

„Wenn 28 Länder immer erst auf eine gemeinsame Position kommen müssen, ist das Problem schon vorbei, bevor überhaupt eine Entscheidung getroffen wurde”, sagte Elmar Brok, der Elder Statesman der CDU-Europapolitik, einmal. Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler findet, die Europäer seien zu „Nostalgikern an der Peripherie des Geschehens und Lyrikern der politischen Hilflosigkeit” geworden. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) beschwört: „Nur wenn wir gemeinsam vorangehen, erhalten wir auch unsere nationale Gestaltungskraft.”

Die kommende EU-Kommission unter Ursula von der Leyen (CDU) und der spanische Außenminister José Borrell (Sozialist) als künftiger EU-Außenkommissar werden außenpolitisch dicke Bretter zu bohren haben. Ihr Gelingen wird auch davon abhängen, ob die Mitgliedsstaaten bereit sind, eine wirklich gemeinsame Sprache zuzulassen. Dazu gehört die Haltung gegenüber dem Nachbarkontinent Afrika, wo Europa noch der wichtigste wirtschaftliche Akteur und Investor ist. Sollte etwa die geplante „Allianz Afrika-Europa für nachhaltige Investitionen und Arbeitsplätze” ein Erfolg werden, bräuchten sich afrikanische Politiker nicht mehr nach dort zu orientieren, wo der Rubel rollt. Wolf Achim Wiegand

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