Nun ist es offiziell: Der Weltraum ist militärisches Einsatzgebiet. Das hat die NATO beschlossen. Damit wird der Kosmos die fünfte Militärgrenze neben Luft, Land, See und Cyberspace. Das westliche Bündnis folgt dem Drängen der Vormacht USA. Was steckt dahinter?
Von Wolf Achim Wiegand (Text aus FORUM – Das Wochenmagazin)
Washington (waw) – Was in der 70er-Jahre-Filmtrilogie „Krieg der Sterne” („Star Wars”) als Fiktion begann, das könnte in absehbarer Zeit zur Realität werden: Kampfhandlungen im Weltraum. Die Regierung der USA betreibt jedenfalls mit Hochdruck den Aufbau einer „Space Force”. Diese Weltraumarmee soll zunächst sensible Satelliten schützen. Aber langfristig könnte sie der Nukleus für eine Streitmacht sein, die im All zwischen den Planeten agiert.
Ausgetüftelt werden die von Präsident Donald Trump befohlenen Pläne unter strengster Geheimhaltung auf der kalifornischen Raketenabschussbasis Vandenberg. Ein kleiner Kreis von nur rund 200 Militärs ist auf dem Gelände an der Pazifikküste damit beschäftigt, eine noch nie dagewesene Truppengattung auf die Beine zu stellen. Sie ist die sechste US-Teilstreitkraft, neben Armee, Marine, Luftwaffe, Marineinfanterie und Küstenwache.

Leiter des Space-Force-Hauptquartiers „Combined Force Space Component Command” (CFSCC) ist General John William „Jay” Raymond.
Der 57-jährige Karrieresoldat diente bei Missionen in Großbritannien und im US-Verteidigungsministerium. Seine erste Aufgabe ist es, die weltweit verstreuten Zuständigkeiten von Luftwaffe, Heer und Marine für den Betrieb jener Satelliten zusammenzuführen, ohne die das zivile und militärische Leben der USA undenkbar wäre: Es sind die Datenlieferanten für Wetterprognosen, GPS-Navigation oder militärische Aufklärung.
Wie teuer wird das?
Die US-Streitmacht für das All soll zunächst nur den Schutz abschussgefährdeter Erdtrabanten sicherstellen – letztlich aber geht es um die Entwicklung von Technologien für Kampfhandlungen im Weltraum. Das definierte Zuständigkeitsgebiet, die Area Of Responsibility (AOR), soll „oberhalb von hundert Kilometern über dem Meeresspiegel” liegen. Die Zahl der Soldaten im Hauptquartier der Space Force wird bis zum kommenden Jahr auf 1.000 Personen steigen und soll danach schnell weiter wachsen.
„Wir betrachten den Weltraum von nun an als eigenständige Zone unter einem vereinigten Kampfkommando in einem geografisch definierten Gebiet. Wir wollen, dass die Dominanz Amerikas im Weltraum niemals in Frage steht.”
US-Präsident Donald J. Trump
Das vielleicht aufwendigste Aufbauprogramm der Militärgeschichte hat natürlich Gegner. Dazu gehören die Besitzstandswahrer. So sorgen sich Führungskreise der US Air Force, die Space Force könne ihnen Kompetenzen wegnehmen – nicht ohne Grund, denn das Operationsgebiet der herkömmlichen US-Flieger wird ja künftig hundert Kilometer über dem Meeresspiegel enden. In einem Kompromiss hat man sich allerdings nun darauf geeinigt, dass die Space Force bei weitgehender Unabhängigkeit nominell der Luftwaffe unterstellt ist.

Die Kosten für die Space Force stehen weiter auf dem Prüfstand. Luftwaffen-Minister Heather Wilson nannte jüngst die stolze Anfangssumme von 13 Milliarden US-Dollar über fünf Jahre verteilt.
Dagegen kalkulierte Trumps Vize Mike Pence die Investitionen vor Jahresfrist noch auf „nur” acht Milliarden US-Dollar bis 2025. Der demokratisch dominierte Kongress wiederum stellt Jahreskosten bis zu 1,3 Milliarden US-Dollar in den Raum. So ganz genau sind die Ausgaben für Aufbau und Betrieb der Space Force offenbar noch nicht errechnet worden.
Vertrag für Weltraumschutz brüchig
Derweil kursieren in Washington verschiedenste Versionen für unterschiedliche Ausformungen der Streitmacht. Dabei ist sowohl von einer Space Force „Lite” wie von einer Space Force „Heavy” die Rede. Auf Details wird man sich wohl erst nach der Präsidentenwahl am 3. November 2020 einigen.
Eines der durchgespielten Szenarios simuliert den Angriff Russlands auf einen künstlichen US-Raumkörper. In so einem Fall soll die Space Force blitzschnell entscheiden, ob sie zur Abwehr der russischen Rakete eine Drohne oder einen B-21-Bomber einsetzt – oder ob die USA den Satelliten schlicht durch Änderung der Umlaufbahn vor der heranrasenden Feindwaffe retten können.
Das Planspiel ist realistisch. Momentan entwickeln gleich mehrere Staaten sogenannte Hyperschall-Waffen, die weltraumfähig wären und deren unfassbares Tempo von bis zu zehnfacher Schallgeschwindigkeit die Abwehrreaktionszeit auf Millisekunden reduziert. Russland hat so eine rasende nuklearfähige Rakete vom Typ „Avangard” ausgerechnet voriges Weihnachten auf dem Kosmodrom Jasny (auch: Dombarowski) im äußersten Südosten des Landes ausprobiert – sie soll 27fache Schallgeschwindigkeit erreicht haben.

Die neue US Space Force soll diese Technologien von der 57 Quadratkilometer großen Garnison Vandenberg aus zur Anwendung bringen. Der Stützpunkt zwischen Los Angeles und San Francisco ist ein geschichtsträchtiger Platz.
Von Vandenberg aus hat die Nasa 1959 den ersten Erdsatelliten „Discoverer 1″ in die Umlaufbahn geschossen. Heute geht es darum, gegnerische Objekte im All von der Größe einer Schuhschachtel aus 1500 Kilometern zu erkennen und zu bekämpfen.
Die Ängste Washingtons werden von westlichen Militärs und Politikern durchaus geteilt. So kündigte Präsident Emmanuel Macron theatralisch am Vorabend des französischen Nationalfeiertages ohne weitere Details an, ebenfalls den Aufbau eines militärischen Weltraumkommandos anzustreben. Verteidigungsministerin Florence Parly lässt lediglich durchblicken, dass Paris zur „aktiven Verteidigung” Nanosatelliten zum Patrouillieren einsetzen und Laserwaffen zum Blenden gegnerischer Satelliten konstruiert. Japan und Indien entwickeln ebenfalls eigene Technologien zum Abschuss von Satelliten.

Die Nato hat nun mit ihrem Beschluss über eine Weltraumstrategie nur nachvollzogen, was für die Bündnispartner in Washington und Paris schon längst beschlossene Sache ist.
„Der Weltraum ist für die Abschreckung und Verteidigung des Bündnisses von wesentlicher Bedeutung, einschließlich der Fähigkeit, zu navigieren, Informationen zu sammeln und Raketenstarts zu erkennen. Der Weltraum ist Teil unseres täglichen Lebens hier auf der Erde – er kann für friedliche Zwecke genutzt werden, aber er kann auch aggressiv genutzt werden”
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg
Eigentlich soll der internationale Weltraumvertrag von 1967 eine Militarisierung des Weltraums verhindern. Dazu haben sich 109 Nationen verpflichtet, einschließlich den USA, Großbritannien und der damaligen Sowjetunion. Doch der Pakt ist brüchig geworden. Das Verbot der Stationierung von Atomwaffen im Weltraum, der Verzicht auf die einseitige Nutzung des Mondes und aller anderen Himmelskörper sind gefährdet. „Es besteht eine gesetzliche Grauzone. Das halte ich für eine große Gefahr”, warnt Stephan Hobe, der weltweit aktive Direktor des Instituts für Weltraumrecht an der Universität Köln.
Die Welt steckt also in einem neuen Rüstungswettlauf. Erstmals in der Menschheitsgeschichte berührt er den Weltraum. Experten wollen das bei der UN-Abrüstungskonferenz in Genf verhindern. Doch die Chancen dafür stehen schlecht. Das ließ der US-Vizepräsident schon voriges Jahr bei der ersten Ankündigung der Space-Force-Pläne erkennen:
„Die Zeit ist reif, um das nächste großartige Kapitel in der Geschichte unserer Streitkräfte zu schreiben und uns auf das nächste Schlachtfeld vorzubereiten.”
Mike Pence
