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Von Wolf Achim Wie­gand

Hamburg (waw) — Die Schließun­gen von Gren­zen inner­halb der eigentlich freizügig konzip­ierten Europäis­chen Union (EU) kön­nten über­flüs­sig wie ein Kropf sein. Näm­lich dann, wenn alle Regierun­gen des Staaten­ver­bun­des von Por­tu­gal bis Polen bei der Bekämp­fung des Coro­n­avirus ein­heitlich han­deln wür­den. Ham­ster-Touris­mus würde sich dann beispiel­sweise nicht lohnen, weil die Ein­schränkung der Bewe­gungs­frei­heit dies­seits wie jen­seits von innerkon­ti­nen­tal­en Demarka­tion­slin­ien dieselbe wäre.

Welche Prob­leme jet­zt die willkür­liche, an überkomme­nen Nation­al­gren­zen ori­en­tierte, Zer­split­terung des gemein­samen Bin­nen­mark­tes macht, zeigt das Beispiel Polen, das seine 58 Übergänge in die Nach­barstaat­en abgeriegelt hat: in Deutsch­land fehlen nun die Spargel­stech­er. Und das ist für eine ganze Branche keine Kleinigkeit.

“Auf vie­len der rund 360 Spargel­höfen herrscht Unsicher­heit,” berichtet BILD aus Nor­drhein-West­falen, dem größten deutschen Bun­des­land. Es mit deutschen Arbeit­nehmern zu pro­bieren funk­tion­iert nicht. “Wir haben nicht genü­gend gefun­den, die diese Tätigkeit machen woll­ten — trotz Bezahlung deut­lich über Min­dest­lohn,” zitiert die Zeitung einen Land­wirt. Bei der anste­hen­den Spargel­sai­son kön­nten die deutschen Bauern nicht nur in NRW auf dem Schlauch ste­hen. Ob der Plan von Agarmin­is­terin Julia Klöck­n­er aufge­ht, joblose Kell­ner und Schankwirte für Fel­dar­beit zu mobil­isieren, bleibt abzuwarten.

Die Spargel­stech­er-Krise als Neben­schau­platz der Coro­na-Krise macht deut­lich, dass die Gren­zen in Europa nicht mehr beliebig auf und zu gemacht wer­den kön­nen. Nochmal Beispiel Polen: am Tag nach der Gren­zschließung bilden sich an den Übergän­gen lange Staus. Vor Jedrzy­chow­ice an der A4 bei Gör­litz gab es durch die Kon­trollen fün­fein­halb Stun­den Wartezeit, meldet die Verkehrsrund­schau. In Swiecko an der A12 bei Frankfurt/Oder hät­ten Aut­o­fahrer vier Stun­den warten müssen, eben­so in Olszy­na an der A15 in der Nähe von Cot­tbus.

Auch Tschechiens Maß­nah­men gegen das Coro­n­avirus tre­f­fen deutsche Unternehmen hart. “Man muss jet­zt darauf acht­en, dass die gren­züber­schre­i­t­en­den Liefer­ket­ten nicht zusam­men­brechen,” sagt Bernard Bauer von der deutsch-tschechis­chen Indus­trie- und Han­del­skam­mer (DTIHK) der Deutschen Verkehrszeitung (DVZ). Es werde zu Verzögerun­gen kom­men. Und das trifft neben der Chemie- und IT-Branche vor allem die deutsche Autoin­dus­trie, denn in Tschechien werkeln viele Kfz-Zulief­er­er.

Der Logis­tik-Dien­stleis­ter Kuehne + Nagel stellt fest: “Wir verze­ich­nen Liefer­verzögerun­gen an ver­schiede­nen Gren­zen, ins­beson­dere zwis­chen Ital­ien und seinen Nach­bar­län­dern und an den Gren­zen nach Kroa­t­ien.” Über­haupt ist Kroa­t­ien ein Schlüs­sel­land, denn seine knapp 2.000 Kilo­me­ter lange Adri­aküste ist ein wichtiger Umschlag­platz für Fähren auf den Routen zum Balkan, der jet­zt prak­tisch isoliert ist. Weit­ere Sor­gen macht die Schließung des Naturhafens von Gen­ua in Ital­ien, über den jährlich rund 50 Mil­lio­nen Ton­nen Waren und über drei Mil­lio­nen Pas­sagiere kom­men.

Pho­to by Linz Fran­ciz on Pexels.com

Um es klar zu sagen: hier soll nicht ein­er Ablehnung der derzeit­i­gen Gren­zschließun­gen das Wort gere­det wer­den. Sie sind in Zeit­en des Coro­n­avirus wichtig und richtig, um das Aus­bre­it­en der Lun­genkrankheit COVID-19 zu stop­pen und die Über­tra­gungswege zu unter­brechen. Das Herun­ter­lassen der Schlag­bäume wäre jedoch unnötig, wenn die EU-Mit­glied­sregierun­gen die Lenkung der Gesund­heit­spoli­tik — und nicht nur die! — in die Hände der Europäis­chen Union geben wür­den. Klein­lich­es Hick­hack­denken in nationalen Kat­e­gorien ist in unser­er glob­al­isierten Welt von gestern. Der frühere Min­is­ter­präsi­dent von Bel­gien, Guy Ver­hof­s­tadt: “Wir müssen einen Europäis­chen Krisen­mech­a­nis­mus instal­lieren, der immer dann in Gang geset­zt, wenn eine (Gesundheits-)Krise aus­bricht.

Das Schen­gener Abkom­men, das die Abschaf­fung der sta­tionären Gren­zkon­trollen an europäis­chen Bin­nen­gren­zen regelt (inklu­sive der EU-Nicht­mit­glieder Island, Nor­we­gen, die Schweiz und Liecht­en­stein), ist eine epochale Errun­gen­schaft. Die Außen­gren­zen der Schen­gen-Zone, die eine Fläche von 4.312.099 km² umfasst, erre­ichen eine Länge von 50.000 km. In ihr leben 420 Mil­lio­nen Men­schen. Es gibt Hun­derte von Flug- und See­häfen.

Das Schen­gen-Gebi­et mit seinen offe­nen Gren­zen muss ein Eck­stein der weit­eren Inte­gra­tion Europas bleiben. “Don’t touch my Schen­gen!” Die Bewe­gungs­frei­heit in der EU darf nicht nochmals ange­tastet wer­den! Die dro­hende Spargel­stecherkrise ver­an­schaulicht, wie ele­man­tar die anste­hende Reform der Europäis­chen Union ist. Wir brauchen drin­gend mehr Europa, nicht weniger.

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