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Von Wolf Achim Wie­gand (erschienen in FORUM — Das Wochen­magazin)


In der Coro­na-Krise mobil­isiert die EU-Kom­mis­sion, was sie kann. Für viele Fra­gen ist sie formell aber gar nicht zuständig. Weitre­ichende Entschei­dun­gen trifft der Rat der Regierungschefs der Mit­gliedsstaat­en.

Brüs­sel (waw) — Europas poli­tis­che Schaltzen­trale ist ein nur 25 Quadrat­meter großes Zim­mer im 13. Stock des Brüs­sel­er EU-Sitzes. Direkt hin­ter ihrem Büro hat sich EU-Kom­mis­sion­spräsi­dentin Ursu­la von der Leyen ihren pri­vat­en Wohn- und Schlaf­bere­ich ein­gerichtet. Auf eine Dien­stvil­la verzichtet die 61-jährige CDU-Poli­tik­erin. So braucht die von Mitar­beit­ern als emsig beschriebene von der Leyen nur wenige Schritte an ihren Schreibtisch.

Sie kon­nte es bei Amt­santritt nicht ahnen. Aber dass die Chefin der Europäis­chen Union nun 24 Stun­den und sieben Tagen in der Woche nur einige Meter zum Schreibtisch braucht, dürfte sich in der uner­wartet hereinge­broch­enen Krise um das neuar­tige Coro­n­avirus auszahlen. Seit Monat­en arbeit­en alle Insti­tu­tio­nen am Anschlag, um die Pan­demie so gut wie möglich zu bewälti­gen. Da ist es gut, wenn auch die Spitze der Europäis­chen Union jed­erzeit alles gibt.

Ursu­la von der Leyen

Dabei hat­te von der Leyen die Ansteck­ungswelle anfangs unter­schätzt. Insid­er bericht­en, sie sei zu Jahres­be­ginn so sehr mit ihrem mil­liar­den­schw­eren Klima­paket „Green Deal” beschäftigt gewe­sen, dass sie die Warnsignale des anrol­len­den Unheils zunächst nicht erkan­nt habe. Das Krisen­man­age­ment über­ließ sie dem zuständi­gen EU-Kom­mis­sar Chris­tos Stylian­ides. Erst nach und nach däm­merte es hoch oben im EU-Dien­st­ge­bäude „Berlay­mont”, dass es Chef­sache sein muss.

Inzwis­chen hat die ehe­ma­lige Ärztin eingeräumt, die Wucht der neuen Lun­genkrankheit Covid-19 anfangs verkan­nt zu haben.

All diese Maß­nah­men, die sich für unsere Ohren drastisch, drakonisch ange­hört haben – wir haben ver­standen, dass das jet­zt sein muss

Nun läuft die Europäis­che Union auf Hoch­touren und rund um die Uhr tagt ein Krisenko­or­dinierungsstab.

Trotz aller inneren Entschlossen­heit: Nach außen hin gibt die Europäis­che Union eher das Bild eines gack­ern­den Hüh­n­er­haufens ab, denn das eines eini­gen Staaten­ver­bun­des…

Pho­to by Alexas Fotos on Pexels.com

Schon gle­ich zu Beginn der Krise hat­ten Regierun­gen ihre Gren­zen abgeschot­tet und gegen das Virus rein nationales Oper­a­tions­besteck raus­ge­holt. So ging das Schen­gener Abkom­men über offene Schlag­bäume, Kern­stück der europäis­chen Eini­gung und ein Sym­bol des gemein­samen Bin­nen­mark­tes, aus­gerech­net in der Stunde der Not über den Deis­ter. Gren­zgänger wie Lkw-Fahrer und Pendler bezahlten das mit end­losen Staus, und für die europäis­che Wirtschaft zer­brachen eng getak­tete kon­ti­nen­tale Liefer­ket­ten.

Die nationalen Alle­ingänge im Kampf gegen das Virus nach dem Mot­to „Rette sich jed­er selb­st, wie er kann!” sind allerd­ings nicht der EU-Kom­mis­sion anzu­las­ten. Laut den EU-Verträ­gen sind Gesund­heit­spoli­tik und Seuchen­bekämp­fung alleinige Sache der Nation­al­staat­en. Brüs­sel kommt nur eine ergänzende und – wenn die EU-Staat­en es wollen – koor­dinierende Rolle zu. Das ist ein Webfehler in der Ver­fass­theit der EU, der nicht in die Zeit ein­er glob­al­isierten Welt passt, in der Men­schen frei umher­reisen und somit Viren und Keime in die entle­gen­sten Eck­en des Plan­eten brin­gen.

Wie ein Flick­en­tep­pich stellen sich die Maß­nah­men der EU-Regierun­gen zwis­chen Por­tu­gal und Polen dar. Während etwa die schw­er betrof­fe­nen Ital­iener am läng­sten unter schar­fen Aus­gangs­beschränkun­gen lei­den, laufen die Bürg­erin­nen und Bürg­er Schwe­dens weit­er­hin frei herum. In Ungarn hat sich die recht­sna­tionale Regierung vom Par­la­ment auf Dauer wirk­same Not­standsvoll­macht­en geben lassen. Den Mit­tel­weg beschre­it­et Deutsch­land, wo die Ver­nun­ft der Men­schen bis­lang aus­re­icht, um Abstand­sregeln, Maskenpflicht und Hygiene zur All­t­ags­ge­wohn­heit wer­den zu lassen.

„Einander zu helfen ist der einzige Weg nach vorne”

Die Anti-Coro­na-Konzepte der EU-Regierun­gen hän­gen auch stark davon ab, wie die einzel­nen Staat­en ver­fasst sind. So han­delt Frankre­ich, wo sich fast alles nach dem Staat­spräsi­den­ten in Paris richtet, stark zen­tral­is­tisch. In Berlin dage­gen hat es die Bun­deskan­z­lerin mit 16 Bun­deslän­dern zu tun, die alle eigene Vorstel­lun­gen von Richtig und Falsch haben. Welche Vorge­hensweise let­ztlich den Erfolg bringt, kann erst gesagt wer­den, wenn die Gefahr in Europa vorüber ist.

Die EU-Kom­mis­sion hat indessen im Rah­men ihrer Kom­pe­ten­zen gehan­delt.

  1. Die befris­tete Ini­tia­tive Sure schützt Arbeit­splätze und hält Men­schen in Beschäf­ti­gung. Bis zu 100 Mil­liar­den Euro ste­hen als Stütze nationaler Kurzarbeit­sregelun­gen bere­it. Für Liq­uid­itätssicherung klein­er und mit­tlerer Unternehmen ste­ht eine Mil­liarde Euro aus dem EU-Haushalt bere­it.
  2. Beson­ders im Blick Brüs­sels ist die Forschung. So erhält das deutsche Unternehmen Cure­vac‚ ein hochin­no­v­a­tiv­er europäis­ch­er Impf­stof­fen­twick­ler von Diet­mar Hopp, bis zu 80 Mil­lio­nen Euro als EU-Garantie für ein Dar­lehen. Wenn alles gut geht, dann kön­nte das Cure­vac-Labor in Tübin­gen noch dieses Jahr einen Covid-19-Impf­stoff auf den Markt brin­gen – die Ret­tung für Hun­derte von Mil­lio­nen Men­schen.
  3. Direk­te Hil­fe für schw­er betrof­fene EU-Staat­en bekam unter anderem Ital­ien. So schick­te die Kom­mis­sion Ärzte- und Pflegerteams aus Rumänien und Nor­we­gen nach Mai­land und Berg­amo. Öster­re­ich lieferte für den Ein­satz über 3.000 Liter Desin­fek­tion­s­mit­tel. Andere Regierun­gen stifteten Masken, Schutzanzüge und Beat­mungs­geräte.

In Gang geset­zt wurde zudem das EU-Katas­tro­phen­schutzver­fahren. Es bün­delt ver­füg­bare Ressourcen für weltweite Hil­f­sein­sätze. So küm­mert sich Brüs­sel seit Wochen um EU-Bürg­er, die wegen gestrich­en­er Flüge nicht mehr heimkom­men kön­nen. Nach offiziellen Angaben wur­den fast 60.000 Män­ner, Frauen und Kinder mit Hun­derten Flü­gen repa­tri­iert. Die Kom­mis­sion über­nahm bis zu 75 Prozent der Reisekosten. Immer noch steck­en etwa 10.000 EU-Bürg­er irgend­wo auf der Welt fest, etliche davon „in der Wild­nis” weit von herkömm­lichen Flughäfen ent­fer­nt.

EU-Präsi­dentin von der Leyen schaut unter­dessen bere­its in die Zukun­ft. Ihr Team hat den EU-Regierun­gen ein umfassendes Maß­nah­men­paket vorgeschla­gen, um Europa davor zu bewahren, bei ähn­lichen Krisen wieder ohne Mund­masken, Beat­mungs­geräte oder Schutzk­lei­dung dazuste­hen. Geplant ist ein strate­gis­ch­er Vor­rat auch für Impf­stoffe und Ther­a­peu­ti­ka. Dieses Mate­r­i­al soll, so ist es beschlossen, in Rumänien gelagert wer­den. Von der Leyen:

Die Reserve wird allen Mit­glied­staat­en und allen Bürg­erin­nen und Bürg­ern zugutekom­men. Einan­der zu helfen, ist der einzige Weg nach vorn.”