3. November 2020: Wahl in den USA. Niemals zuvor in der US-Geschichte ist eine Präsidentenwahl vom Verlierer so in Zweifel gezogen worden. Nach dem Sieg des demokratischen Herausforderers Joe Biden überzog der unterlegene Donald Trump das Land mit wirren Behauptungen über Wahlbetrug. Beweisen konnten er und seine Anwaltsarmada freilich nichts. Kein Gericht zog mit…

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Michael Link (57) hat die Wahl in den USA überwacht. Der gebürtige Heilbronner war Leiter der internationalen Kommission für Wahlüberwachung. Link war Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ex-Direktor von OSZE/ODIHR, der weltweit größten regionalen Institution zum Schutz der Menschenrechte, und ist heute der Vorsitzende des FDP-Bundesfachausschusses Internationale Politik.
Hier berichtet Link auf Fragen von Wolf Achim Wiegand EXKLUSIV für European.expert von seinem schwierigen Job:
Wie wird man Leiter einer internationalen Wahlbeobachtermission?
Der amtierende Vorsitzende der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der 57 Staaten angehören, darunter die USA, hat mich als Special Coordinator ihrer Wahlbeobachtungsmission vorgeschlagen und eingesetzt. Jeder Leiter oder jede Leiterin einer Wahlbeobachtungsmission muss über die notwendige Erfahrung verfügen, weshalb nur langjährige und erfahrene Wahlbeobachter einen Leitungsposten übernehmen.
Wovor hatten Sie bei Ihrer Mission zur Überwachung der Wahl in den USA den größten Respekt und fühlten Sie sich nicht auch ein wenig mulmig?
Ich hatte in der Tat einen gehörigen Respekt vor dieser Wahlbeobachtung. Man beobachtet schließlich nicht jeden Tag eine Wahl in einer der ältesten Demokratien der Welt. Und dann auch noch unter diesen Umständen… Das ist schon eine große Herausforderung, der ich mich aber sehr gerne gestellt habe. Meine Vorerfahrung als früherer OSZE-Direktor und das hervorragende Team, mit dem ich zusammenarbeiten durfte, haben mir diese Aufgabe jedoch entscheidend erleichtert.
Rechneten Sie mit Zwischenfällen und wenn ja, worauf haben Sie bei ihren Kontrollen besonders geachtet?
Natürlich haben wir im Vorfeld die Nachrichten über potenzielle Pläne bestimmter Gruppen die Stimmabgabe zu stören oder Wähler und Wahlhelfer einzuschüchtern, sehr ernst genommen. Wir haben auch am Wahltag selbst aufmerksam verfolgt, ob es tatsächlich solche Zwischenfälle gab. Wir konnten aber erfreulicherweise feststellen, dass der Wahltag selbst, abgesehen von ein paar kleinen Vorfällen, friedlich und ruhig verlaufen ist.
(c) TIME Magazine
Wahl in den USA: Verängstigte Menschen in Washington
Ist es möglich ein so großes Land wie die USA flächendeckend zu kontrollieren?
Nein, bei einem so großen Land wie der USA ist es unmöglich flächendeckend die Wahl zu beobachten – ich sage bewusst beobachten, da wir die Wahl nicht kontrollieren, sondern objektiv festhalten, was wir vor Ort beobachten und anschließend darüber berichten. Darüber hinaus war es leider so, dass nicht alle Bundesstaaten der USA die Anwesenheit von internationalen Wahlbeobachtern in den Wahllokalen erlaubt hatten. Nichtsdestotrotz waren wir durch die Langzeitbeobachter des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR), der OSZE-Sicherheitsüberwachungsorganisation. Dessen über Jahrzehnte vielfach weiterentwickelte und präzise Methodologie versetzte uns in die Lage, ein aussagekräftiges Bild über die Wahl zu erhalten.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie in Washington willkommen waren, oder spürten Sie Skepsis – Letzteres: Von wem?
Die US-Regierung hatte die OSZE schon sehr früh zu der Wahlbeobachtung eingeladen. Das ist leider beileibe nicht in allen OSZE-Teilnehmerstaaten der Fall. Dadurch dass wir mit unseren amerikanischen Kolleginnen und Kollegen immer gut zusammengearbeitet haben und ich auch persönlich viele gute Kontakte zu beiden großen Parteien pflege, habe ich mich durchaus willkommen gefühlt. Trotzdem war es natürlich bedrückend zu sehen, wie verängstigt die Menschen und wie buchstäblich verbarrikadiert Downtown Washington, D.C. war.
Hat es in bei einer Wahl in den USA schon einmal größere Unregelmäßigkeiten gegeben und was wäre daraus zu schlussfolgern?
Größere Unregelmäßigkeiten konnten die vergangenen OSZE-Wahlbeobachtungsmissionen seit der ersten OSZE-Wahlbeobachtung im Jahre 2002 nicht feststellen. Natürlich gab es immer wieder Punkte, die beim jeweiligen Abschlussbericht kritisiert wurden, etwa die Wählerregistrierung, aber alles in allem entsprachen die Wahlen in den USA stets den einschlägigen Standards.
“Trumps Verhalten war beschämend”
Laut Presseberichten Hatten Republikaner in Kalifornien inoffizielle Wahlurnen vor Waffengeschäften und Kirchen aufstellen lassen. Die US-Wahlbehörde hatte das abgemahnt. Mussten Sie bei der Wahl in den USA mit weiteren ähnlichen Unregelmäßigkeiten rechnen?
Auch hier haben wir im Vorfeld solche Vorgänge natürlich sehr genau beobachtet. Aber zum Glück konnten wir – bis auf die üblichen kleineren Vorfälle – keine systematischen Versuche der Wahlmanipulation feststellen. Auch muss man dazusagen, dass das extrem dezentrale Wahlsystem eine systematische Manipulation schwierig macht.



Wie beurteilen Sie die massiven Versuche aus dem Weißen Haus, die Briefwahl bereits im Vorfeld der Wahlen in Misskredit zu bringen?
Die Versuche von Präsident Donald Trump, die Wahl zu diskreditieren, waren äußerst ungewöhnlich und verstörend. Damit wollte und will er systematisch das Vertrauen seiner Anhänger in die Legitimität dieser Wahl im speziellen und demokratischer Strukturen im allgemeinen unterminieren. Beschämend für eine solch alte und stolze Demokratie war das Verhalten von Trump in der Wahlnacht selbst. Es ist eine Sache, sich vorzeitig selbst zum Wahlsieger zu erklären, aber es ist ein Unding, gleichzeitig einen Stopp der noch laufenden Auszählungen zu fordern. Das war ein eklatanter Bruch demokratischer Gepflogenheiten. Der Grundsatz „Jede Stimme zählt“ gilt immer, egal welcher Kandidat gerade vorne liegt.
Vor allem Afroamerikaner und sozial benachteiligte Menschen in den USA beklagten sich schon vorab über Nachteile beim Zugang zur Stimmabgabe. Konnten Sie das nachvollziehen?
Ja, das ist in der Tat ein Problem, nicht nur bei dieser Wahl sondern bereits in vergangenen Wahlen. Wir in Deutschland können uns das nicht wirklich vorstellen, da wir vor der Wahl einfach eine Postkarte mit unserem Wahlschein bekommen und dann damit am Wahltag zur Wahl gehen können oder Briefwahl beantragen können. In den USA ist das in aller Regel leider anders. Hier müssen sich die Bürgerinnen und Bürger aktiv selbst um ihre Registrierung zur Wahl kümmern, bei jeder Wahl aufs Neue. Das ist zeitintensiv und kostet manchmal auch Geld. Außerdem sind die Registrierungszentren teilweise zu weit vom Wohnort der Wähler entfernt. So ein System benachteiligt Leute aus den unteren Schichten natürlich sehr. Das Phänomen des „Disenfranchisement“ kritisieren wir in unserem Bericht, nicht zum ersten Mal.
USA werden Wahlrecht nicht reformieren
Das US-Wahlsystem ist generell wegen seines antiquierten Wahlmännersystems und der Möglichkeit, dass der Kandidat mit den meisten Stimmen dennoch die Wahl verliert, ins Gerede gekommen. Ist die Kritik berechtigt?
Die Kritik am amerikanischem Wahlsystem und insbesondere die Möglichkeit, dass ein Kandidat Präsident werden kann, der nicht die Mehrheit aller Stimmen bekommt – so wie es 2016 beispielsweise der Fall war – ist nicht neu. Die Abschlussberichte der vergangenen Wahlbeobachtungen haben das immer wieder angemerkt. Allerdings kritisieren wir nicht das Mehrheitswahlrecht als solches. Das dürfen wir als Beobachter nicht, denn die Frage nach Mehrheits- oder Verhältniswahlrecht ist eine politische Abwägung, keine Frage der Grundrechte.Eine formelle Änderung des derzeitigen Wahlrechts sehe ich aber nicht als sehr wahrscheinlich an, da dafür eine Verfassungsänderung notwendig wäre. Nur so könnte das Wahlrecht auf die Ebene des Bundesrechts gehoben werden. Bisher sind Wahlen die ausschließliche Zuständigkeit der Teilstaaten. Und das wird auch so bleiben, denn dieses stark dezentralisierte Wahlrecht ist bei allen wünschenswerten Reformen doch sehr bürgernah.

Was können Sie als Wahlbeobachter tun, falls sich der unterlegene Kandidat weiterhin dauerhaft weigern sollte, die Niederlage anzuerkennen?
Als Wahlbeobachter sind wir während unserer Mission – die auch die Beobachtung der unmittelbaren Situation nach dem Wahltag und die Beschwerdephase miteinschließt – zur absoluten Neutralität verpflichtet. Das heißt, falls sich ein unterlegener Kandidat weigern sollte, die Niederlage anzuerkennen, können und dürfen wir nicht eingreifen. Das ist nicht unsere Aufgabe. Stattdessen berichten wir neutral von der Wahl, damit sich die Öffentlichkeit selbst von den Vorgängen ein fundiertes Bild machen kann. Aber wir benennen es sehr wohl, wenn ein Bewerber, und sei es der Amtsinhaber, fortwährend versucht, ohne jeglichen Beweis das Vertrauen der Wähler in die Integrität des Wahlprozesses zu zerstören.
Nach Wahl in den USA: “Europa muss sich auf eigene Beine stellen”
Welches persönliche Anliegen möchten Sie in diesem Interview noch gerne rüberbringen?
Ich möchte den Leserinnen und Lesern zwei persönliche Anliegen mit auf den Weg geben:
Erstens würde ich mich sehr freuen, wenn ich mit meiner Arbeit die Sichtbarkeit der Parlamentarischen Versammlung der OSZE und insbesondere die des OSZE-Menschenrechtsbüros ODIHR in der deutschen Öffentlichkeit gestärkt hätte. Der Schutz von Menschenrechten und demokratischen Institutionen ist sollte eine elementare Aufgabe von uns allen sein. ODIHR und die Parlamentarische Versammlung der OSZE leisten hierbei eine hervorragende Aufgabe, die in der breiten Öffentlichkeit noch zu wenig Aufmerksamkeit erfährt.
Zweitens freue ich mich als Europäer und als Verfechter der transatlantischen Zusammenarbeit darüber, dass Amerika mit Joe Biden auch eine Abkehr von der America-First-Politik des alten Präsidenten gewählt hat. Europa braucht die USA als starken und verlässlichen Partner an seiner Seite. Gleichzeitig ist es fatal zu glauben, dass nach der Wahl in den USA und dem Sieg des Demokraten Joe Biden nun alles wieder wird wie früher. Europa muss in der Lage sein, sein Schicksal wo nötig selbst in die Hand zu nehmen. Wir müssen in der Europäischen Union (EU) außenpolitisch schlagkräftiger aber auch verteidigungspolitisch souveräner werden. Stillstand können und dürfen wir uns nicht erlauben, wenn wir als EU auch in Zukunft auf der Weltbühne noch eine Rolle spielen wollen.
Der Satz:” Wir rmüssen in der EU aussenpolitisch schlagkräftiger, aber auch verteidigungspolitisch souveräner werden” ist derzeit Utopie. Ihc erinnere an di eAussagen des BVerfG: “Die EU ist ein loser Staatenverbund souveräner! Staaten. Diese geben einen Teil ihrer Souveränität ab eine supranationale Vereinigung ab. Daher ist die Entscheidung des BVerfG Mitte Februar zur Organklage der Fraktion “Die Linke” sehr wichtig.