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Kaum ist das denk-würdi­ge Krisen­jahr 2020 been­det, da zeich­nen sich bere­its die neuen Kon­flik­te für 2021 ab. “Das neue Jahr wird wahrschein­lich von ungelösten Hin­ter­lassen­schaften des alten geplagt sein: COVID-19, wirtschaftliche Abschwünge, unberechen­bare US-Poli­tik und zer­störerische Kriege, die die Diplo­matie nicht stop­pen kon­nte,” prophezeit Robert Mal­ley.

Der ehe­ma­lige Mitar­beit­er des US-Sicher­heit­srates unter Präsi­dent Barack Oba­ma ist Präsi­dent der Inter­na­tion­al Cri­sis Group. Das ist eine unab­hängige Nichtregierung­sor­gan­i­sa­tion mit Sitzen in Brüs­sel, New York, Wash­ing­ton und Lon­don. Ihr Ziel ist es, zur Ver­mei­dung von Kriegen beizu­tra­gen. US-Präsi­dent Joe Biden hat Mal­ley zum neuen amerikanis­chen Botschafter im Iran berufen.

Die nach­fol­gen­den Szenar­ien “2021: Zehn Kon­flik­te” beruhen weit­ge­hend auf ICG-Angaben. Es geht um Afghanistan, Äthiopi­en, die Sahelhttps://twitter.com/Refugees/status/1352588951551422464/video/1zone, Jemen, Venezuela, Soma­lia, Libyen, USA/Iran, Russland/Türkei und den Kli­mawan­del

Von Wolf Achim Wie­gand

1. Afghanistan 🇱🇾

“Trotz klein­er, aber wichtiger Fortschritte bei den Friedens­ge­sprächen kön­nte für Afghanistan im Jahr 2021 Vieles schief gehen.”

Cri­sis Group

Nach zwei Jahrzehn­ten Kampf hat die US-Regierung unter Präsi­dent Don­ald Trump Anfang 2020 mit den Tal­iban-Rebellen ein Friedens­abkom­men geschlossen. Es kön­nte schon bald sein Papi­er nicht mehr wert sein. Top-Offizielle der west­lich gesin­nten Regierung in Kab­ul mis­strauen den Islamis­ten — offen­bar anders als Trump — zutief­st.

Der Abzug aller US- und NATO-Trup­pen (also auch die der Bun­deswehr) aus dem Land am Hin­dukusch soll schon im Mai 2021 vol­l­zo­gen sein. Trump hat zuvor ein­seit­ig rund tausende Sol­dat­en heim beordert. Das freute die Tal­iban und beun­ruhigt die afghanis­che Regierung.

Krieg oder Frieden am Hindukusch?

Der Ball liegt nun bei den Tal­iban. Wer­den sie zu Kom­pro­mis­sen mit der Regierung bere­it sein? Der kün­ftige US-Präsi­dent Joe Biden will Zugeständ­nisse der Auf­ständis­chen zur Vorbe­din­gung für den endgülti­gen Abzug machen. Nach seinen Vorstel­lun­gen sollen zunächst einige tausend amerikanis­che Anti-Ter­ror-Kräfte in Afghanistan bleiben. Schon dieser Wun­sch hat afghanis­che Stammes­führer aufge­bracht. Auch die Tal­iban, die inzwis­chen sog­ar mit Drohnen bewaffnet sind, wer­den andauernde US-Trup­pen­präsenz kaum hin­nehmen.

Im Mai kön­nte sich in Afghanistan die fol­gende Alter­na­tive stellen: Entwed­er US-Präsenz und weit­er Krieg wie gehabt oder Frieden ohne west­liche Trup­pen und eine geschwächte afghanis­che Regierung.

Let­zteres Szenario kön­nte neue Kämpfe aus­lösen. 2021: Zehn Kon­flik­te — die Auseinan­der­set­zun­gen in Afghanistan kön­nten sich ver­schär­fen. Damit wäre die “größte Chance Afghanistans seit ein­er Gen­er­a­tion” (Cri­sis Group) zunichte gemacht wor­den…

2. Äthiopi­en 🇪🇹

“Es wäre entschei­dend, zu einem nationalen Dia­log überzuge­hen, um die tiefen Spal­tun­gen des Lan­des in Tigray und anderen Regio­nen zu heilen. Andern­falls sind die Aus­sicht­en düster.”

Cri­sis Group

2021: Zehn Kon­flik­te. Ein­er davon: Die gewalt­samen Reibereien zwis­chen der äthiopis­chen Zen­tral­regierung und Tigray, der nördlich­sten Region des Lan­des. Die Armee ist am 4. Novem­ber 2020 in die Prov­inzhaupt­stadt Mekelle ein­marschiert. Damit hat sie höch­stes Kon­flik­t­poten­zial geschaf­fen. Die Beset­zung fol­gte, nach­dem die örtlich tonangebende Tigray Volks­be­freiungs­front (TPLF) lokale Mil­itärein­rich­tun­gen an sich geris­sen hat­te.

Dahin­ter steckt ein jahrzehn­teal­ter Machtkon­flikt. Pre­mier­min­is­ter Abiy Ahmed hat­te 2018 nach Massen­protesten in Addis Abe­ba die Regierung über­nom­men. Er ver­drängte die seit 1991 in Äthiopi­en macht­poli­tisch dominierende TPLF aus der Haupt­stadt.

Zorn und Separatismusgelüste

Die gegen­wär­tige Lage in dem aus mehr als 80 eth­nis­chen Grup­pen zusam­menge­set­zten Staat ist wegen der Medien­zen­sur unklar. Aber ber das weiß man:

  • Ver­mut­lich Tausende Tote, darunter Zivilis­ten,
  • eine Mil­lion inländisch Heimatver­triebene,
  • 50.000 in den Sudan Geflüchtete.

Die TPLF wirft Abiy vor, die einst ein­flussre­ichen Führer aus Tigray gezielt von der Macht fernzuhal­ten. Der Pre­mier wiederum wirft der TPLF vor, unangemessene Ansprüche zu stellen, Refor­men auszubrem­sen und Gewalt zu schüren.

Die Zen­tral­regierung ver­sucht den Ein­fluss der TPLF-Führung durch repres­sive Mit­tel zu brechen. Doch die regionalen Köpfe bleiben stark im Volk ver­ankert. Schon weit­et sich der Kon­flikt aus: Das Nach­bar­land Eritrea scheint der äthiopis­chen Regierung mil­itärisch zu Hil­fe gekom­men sein. Das heizt Zorn und Sep­a­ratismus­gelüste in Tigray an.

Nur ein nationaler Dia­log über einen Inter­esse­naus­gle­ich kön­nte ver­hin­dern, dass Äthiopi­en nicht in einen bluti­gen Bürg­erkrieg zwis­chen Volks­grup­pen schlit­tert.

3. Sahel­zone (Afri­ka) 🌍

“Aus­ländis­che Mil­itärein­sätze sind uner­lässlich, aber inter­na­tionale Akteure soll­ten die lokale Friedenss­tiftung her­vorheben und auf eine Reform der Regierungs­führung drän­gen.

Cri­sis Group

Hören Sie den Pod­cast der Cri­sis Group: Hold Your Fire! mit Rob Mal­ley, Naz Modirzadeh und Richard Atwood zum The­ma “10 Con­flicts to Watch in 2021”

2020 war das tödlich­ste Jahr seit Beginn der Kon­flik­te in der Sahel­zone. Die dür­rege­plagte Über­gangszone zwis­chen der Wüste Sahara und der afrikanis­chen Feucht­sa­vanne gerät immer mehr in den Strudel intereth­nis­ch­er Gewalt. Grausam agierende Dschi­hadis­ten nutzen das Chaos zur Ver­bre­itung extremer islamistis­ch­er Ansicht­en.

West­liche Trup­pen, wie die franzö­sis­che Armee oder die Bun­deswehr, kön­nen wenig Durch­greifend­es gegen die Gewalt­spi­rale unternehmen. Weite Land­striche in Natio­nen wie Mali, Burk­i­na Faso und Teile von Niger sind ihrem Zugriff ent­zo­gen. Während­dessen wen­den die Islamis­ten asym­metrische Kriegführung an. Sie sind damit — vor allem in ländlichen Regio­nen — bis­lang unbe­sieg­bar.

Terror in Städten

Ursache des bluti­gen Chaos ist nach Analyse von Beobachtern der Verteilungskampf um Ressourcen in unwirtlichen Gebi­eten. Tra­di­tionelle Stre­itlö­sungs­brauchtümer sind zusam­menge­brochen. Dazu kommt: Örtliche Regierungskräfte haben sich durch deplatzierte Gewalt­tat­en und Ein­satz eth­nisch zusam­menge­set­zter Milizen bei den Men­schen diskred­i­tiert.

Das alles befördert den Zulauf zu Extrem­is­ten, stellt die Cri­sis Group fest. Vor beson­deren Her­aus­forderun­gen ste­ht dabei der Tschad. Dessen Armee unter­stützt ein­er­seits die inter­na­tionalen Part­ner beim Anti-Ter­rorkampf. Ander­er­seits sind die Sol­dat­en selb­st eine mögliche Quelle für Insta­bil­ität, weil sie nicht in der Bre­ite der Bevölkerung ver­ankert ist und die Pro­fes­sion­al­ität zu wün­schen übrig lässt. .

Längst spielt sich die Krise in der Sahel­zone nicht mehr nur auf dem Lande ab. Sie hat auch die Städte erre­icht. Dort herrscht enormer Unmut über Kor­rup­tion und inkom­pe­tentes Regierung­shan­deln. Vor diesem Hin­ter­grund erscheint eine poli­tis­che Lösung der Krise kaum erre­ich­bar.

2021: Zehn Kon­flik­te. Nur, wenn es den inter­na­tionalen Ein­satzkräften gelingt, örtliche Friedenss­chlüsse zu befördern und Refor­men einzuleit­en, gäbe es eine Chance, dass die Sahel­zone nicht mehr zu den Welt­ge­gen­den gehört, in denen Unfrieden herrscht.

4. Jemen 🇾🇪

“Ohne eine Kursko­r­rek­tur dürfte 2021 ein weit­eres trost­los­es Jahr für die Jemeniten wer­den. Der Krieg zieht sich hin, Krankheit­en und poten­zielle Hunger­snöte bre­it­en sich aus, die Aus­sicht­en auf eine Befriedung ver­schwinden und Mil­lio­nen von Jemeniten wer­den von Tag zu Tag kranker und hun­griger.”

Cri­sis Group (Foto: http://www.piqs.de)

Der erbar­mungslose Krieg im bit­ter­ar­men Jemen unter Beteili­gung der Erzgeg­n­er Sau­di-Ara­bi­en und Iran sowie der ara­bis­chen Emi­rate gilt als die schlimm­ste human­itäre Katas­tro­phe der Welt. Krankheit­en, Covid-19 und Hunger bre­it­en sich inmit­ten erbar­mungslos­er Gewalt unge­hemmt aus. Die Staatsstruk­turen sind zusam­menge­brochen, während das Land 90 Prozent seines Weizenbe­darfs und seine gesamten Reisvor­räte importieren muss.

Hin­ter der bluti­gen Zer­split­terung des Jemen in lokale Inter­essenssphären steck­en wirtschaftliche Inter­essen. Es geht um die Kon­trolle von Öl- und Gasvorkom­men sowie Kraftwerken und Häfen.

Ver­mit­tlungsver­suche der Vere­in­ten Natio­nen (UN) stoßen bei den riv­i­al­isieren­den Regierun­gen der Huthi-Rebellen und der offiziellen Machthaber auf bis­lang unüber­windliche Bar­ri­eren. Das aggres­sive und ter­ror­is­tis­che Auftreten des „islamis­chen Staates“ im Land ist eine weit­ere Stufe der Eskala­tion, sagt Gün­ter Mey­er vom Zen­trum für Forschung zur Ara­bis­chen Welt der Uni­ver­sität Mainz.

“2021 wird ein weit­eres schwarzen Jahr für die Jemeniten wer­den,” prophezeit die Cri­sis Group. “Mil­lio­nen Men­schen wer­den mit jedem Tag kranker und hun­griger wer­den.” 2021: Zehn Kon­flik­te — der Jemen wird nicht auf der Liste fehlen.

5. Venezuela 🇻🇪

“Gegen­wär­tig zeigt die Regierung von Maduro keine Anze­ichen dafür, dass sie faire Wahlen abhal­ten würde. Die meis­ten sein­er Rivalen wollen ihn stürzen und strafrechtlich ver­fol­gen. Eine Befriedung ist so fern wie immer.”

Cri­sis Group

Eines der ölre­ich­sten Län­der Welt ist zu einem Sor­genkind der Welt gewor­den: Venezuela. Seit zwei Jahren ste­hen sich in der südamerikanis­chen Repub­lik von der zweiein­halb­fachen Größe Deutsch­lands zwei Machtzen­tren gegenüber. Da ist ein­er­seits der von den USA und Europa anerkan­nte selb­st­proklamierte Inter­im­spräsi­dent Juan Guaidó. Er bekämpft den autoritär han­del­nden offiziellen Staatschef Nicolás Maduro. Wed­er Sank­tio­nen, inter­na­tionale Iso­la­tion, das Coro­n­avirus oder Putschver­suche haben es ver­mocht, Let­zteren zu ver­drän­gen. Maduro kann fest aufs Mil­itär zählen.

Die Lage wird sich auf abse­hbare Zeit nicht ändern. Die Oppo­si­tion in Venezuela ist zer­strit­ten. Ihr unkluger Wahlboykott im Dezem­ber 2020 hat zum Ver­lust der seit 2015 beste­hen­den Mehrheit für Guaidó in der Nation­alver­samm­lung geführt. Allerd­ings nah­men nur zwanzig Prozent der Wahlberechtigten teil. Die Europäis­che Union (EU) hat die Abstim­mung in ein­er Erk­lärung als “nicht repräsen­ta­tiv” beze­ich­net.

Kurswechsel unter Biden?

Venezuela ist wirtschaftlich und finanziell aus­ge­blutet. Hunger, Fehlernährung und ökonomis­ch­er Ruin sind tägliche Begleit­er bis hinein in den Mit­tel­stand gewor­den. Mehr als fünf Mil­lio­nen Men­schen haben wegen der Not ihre Heimat über­wiegend in Rich­tung des Nach­bar­lan­des Kolumbi­en ver­lassen.

Doch immer noch suchen viele Bürg­er nicht in der amtieren­den Regierung die Schuld, son­dern bei der Oppo­si­tion. Sie habe die scharf wirk­enden Sank­tio­nen verur­sacht, heißt es von der Maduro-Seite. 2021: Zehn Kon­flik­te sicher­lich auch mit Venezuela.

Die neue US-Regierung kön­nte einen Kur­swech­sel ein­leit­en: Anerken­nung Maduros als Gesprächspart­ner unter Ein­beziehung von dessen Ver­bün­de­ten Rus­s­land, Chi­na und Kuba sowie Beteili­gung der Europäis­chen Union. Ziel müssten ver­trauenswürdi­ge Präsi­dentschaftswahlen spätestens im Jahre 2024 sein.

Doch noch — so die Cri­sis Group — gibt es kein­er­lei Anze­ichen für ein Ein­schwenken Maduros. Seine Rivalen woll­ten nur Eines: Den Präsi­den­ten stürzen und ankla­gen. “Eine Lösung ist weit­er ent­fer­nt, denn je.”

6. Soma­lia 🇸🇴

“Viel hängt von der Präsi­dentschaftswahl im Feb­ru­ar ab. Eine einiger­maßen saubere Wahl kön­nte eine Eini­gung beschle­u­ni­gen. Eine umstrit­tene Abstim­mung kön­nte ander­er­seits eine poli­tis­che Krise her­vor­rufen, die das Risiko birgt, die islamistis­che Ter­rormiliz al-Shabaab zu ermuti­gen.”

Cri­sis Group

Soma­lia, das Land am Horn von Afri­ka, gilt seit langem als lost state, als gescheit­ertes Staatswe­sen. Präsi­dent Mohamed Abdul­lahi Mohamed, genan­nt “Far­ma­jo”, herrscht fak­tisch höch­stens über die Zwei-Mil­lio­nen-Haupt­stadt Mogadis­chu. Seine größten Geg­n­er, die islamistis­chen Milizen Al-Shabaab, ver­set­zen die Küsten­re­pub­lik seit 15 Jahren in Angst und Schreck­en. Auch von der EU und anderen Spendern finanzierte Blauhelm­mil­itärs im Auf­trag der Afrikanis­chen Union (AU) haben das nicht geän­dert.

Die Präsi­dentschaftswahl im Feb­ru­ar 2021 ste­ht unter keinem guten Stern. Schon jet­zt zeich­nen sich für den Fall von Mohameds Wieder­wahl Betrugsvor­würfe aus Regio­nen wie Punt­land und Juba­land ab. Unter­dessen punk­tet Al-Shabaab weit­er, kon­trol­liert weite Lan­desteile in der Mitte und im Süden Soma­lias und verübt Ter­ro­ran­schläge sog­ar inmit­ten der Haupt­stadt. Inmit­ten des Durcheinan­ders wer­den die USA sich mit ihren 700 Sol­dat­en in Kürze auch aus diesem Land­strich zurückziehen

2021: Zehn Konflikte, darunter Somalia

Eine klare Strate­gie zur Über­win­dung des Chaos ist in Soma­lia nir­gend­wo in Sicht. Es darf bezweifelt wer­den, dass die für Jahre­sende angepeilte Über­gabe von Sicher­heit­sauf­gaben an die nationalen Kräfte — wie es Trump verord­net hat — etwas ändern wird. Die soma­lis­che Armee und die Polizei sind zu schwach und zu unvor­bere­it­et. Dass die Türkei der Regierung jet­zt mit Waf­fen zu Hil­fe eilen möchte, das dürfte nur ein ver­dampfend­er Tropfen auf einem viel zu heiß gewor­de­nen Stein sein.

Mit 50 Luftschlä­gen hat die US Air Force im ver­gan­genen Jahr ver­sucht das Ter­ror­net­zw­erk al-Shabaab auszuschal­ten — ohne Ergeb­nis. Für Extrem­is­ten hinge­gen ist das insta­bile islamis­che Afri­ka seit dem Zusam­men­bruch des IS-Kali­fats in Syrien und Irak eine attrak­tive Oper­a­tionsre­gion gewor­den.

Es beste­he die Gefahr, dass die poli­tis­che Krise in Soma­lia “den Riss zwis­chen Mogadis­chu und den anderen soma­lis­chen Lan­desteilen weit­et und Gewalt aus­löst, die Al-Shabaab stärkt,” warnt die Cri­sis Group. 2021: Zehn Kon­flik­te, zu denen Soma­lia in jedem Falle gehören wird.

7. Libyen 🇱🇾

“Rival­isierende Mil­itärkoali­tio­nen in Libyen kämpfen nicht mehr, und die Vere­in­ten Natio­nen haben die Ver­hand­lun­gen zur Wiedervere­ini­gung des Lan­des wieder aufgenom­men. Aber dauer­haften Frieden zu erre­ichen, wird immer noch ein har­ter Kampf sein.”

Cri­sis Group

Obwohl die rival­isieren­den Kräfte in Libyen zur Jahreswende prak­tisch kaum noch gekämpft haben und die Vere­in­ten Natio­nen (UN) wieder Kon­flik­t­ge­spräche starten kon­nten, dürfte ein wirk­lich­er Frieden in dem Land an der Mit­telmeer-Süd­küste noch weit ent­fer­nt sein. 2021: Zehn Kon­flik­te — darunter wird Libyen sein. Dort ste­hen sich diese Kräfte gegenüber:

  • Die inter­na­tion­al — auch von der EU — anerkan­nte Regierung der Nationalen Ein­heit (GNA) unter Präsi­dent Fayez al-Sar­raj, mil­itärisch unter­stützt von der Türkei, die syrische Söld­ner rekru­tiert hat, und vom Golf­s­taat Katar. Türkische Kriegss­chiffe ver­hin­derten sog­ar die Kon­trolle eines Frachters durch die EU-Mis­sion “Iri­ni”, die das Libyen-Embar­go im Auf­trag des UN-Sicher­heit­srates überwachen soll. Der GNA-Ein­fluss beschränkt sich weit­ge­hend auf das Gebi­et rund um die Haupt­stadt Tripo­lis.
  • Die Nation­alarmee Libyens (LNA) unter Gen­er­al Khal­i­fa Haf­tar, unter­stützt von Ägypten, den Vere­inigten Ara­bis­chen Emi­rat­en, Sau­di-Ara­bi­en und Rus­s­land, das Paramil­itärs entsandt hat. Haf­tar kon­trol­liert beina­he alle Ölfelder und Exporthäfen des Lan­des. Auch Frankre­ich ste­ht trotz der kon­trären EU-Posi­tion auf Haf­tars Seite.
  • Ter­ror­grup­pen, Sklaven­händler und andere organ­isierte Krim­inelle nutzen das Macht­vaku­um aus. Extrem­is­ten­milizen wie Islamis­ch­er Staat und Al-Qai­da haben freie Hand. Hun­dert­tausende Migranten und Flüchtlinge aus anderen afrikanis­chen Staat­en wer­den oft­mals in Konzen­tra­tionslagern ähn­lichen Unterkün­ften gefan­gen gehal­ten. Dort sind Ver­brechen wie Mord, Kör­per­ver­let­zun­gen und Verge­wal­ti­gun­gen sowie Sklaverei üblich. Andere wer­den von libyschen Schlep­pern auf meis­tens see­un­tüchtige Boote gelockt, um Rich­tung Europa zu fahren. Etliche ertrinken auf der gefährlichen Über­fahrt oder sie wer­den beim Scheit­ern der Reise unter den geschilderten Umstän­den in Libyen interniert bzw. als Zwangsar­beit­er verkauft.

Fata Morgana “Nationale Einheit”

Im Kern geht es seit dem Sturz des sta­bil­isieren­den Dik­ta­tors Muam­mar al-Gaddafi im Jahr 2011 um Stre­it über die Machtverteilung in dem öl- und gas­re­ichen Land. Daran sind auch die aus­ländis­chen Akteure inter­essiert, teils aus geostrate­gis­chen Grün­den (Zugang zum Mit­telmeer), teils aus ide­ol­o­gis­chen Beweg­grün­den (Ver­hält­nis zu Islamis­ten).

Der gegen­wär­tige Waf­fen­still­stand scheint nur deshalb einiger­maßen zu hal­ten, weil alle Seit­en ihre derzeit­i­gen Ein­flusszo­nen hal­ten wollen. Ein Wieder­auf­flam­men des Bürg­erkrieges kön­nte nur ver­hin­dert wer­den, wenn die UN zusam­men mit den Kon­flik­t­parteien einen Fahrplan zum Erlan­gen nationaler Ein­heit vere­in­baren würde. Experten fordern: “Die Schlüs­sel­staat­en Europas müssen Libyen zur gemein­samen außen­poli­tis­chen Sache machen und ihre Rival­itäten bei­seite leg­en.”  

8. USA/Iran 🇺🇸🇮🇷

“Die europäis­chen Regierun­gen prüfen die Möglichkeit, den Iran und die ara­bis­chen Golf­s­taat­en zu einem Dia­log zu bewe­gen, um regionale Span­nun­gen abzubauen und einen verse­hentlichen Kriegsaus­bruch zu ver­hin­dern. Die neue US-Regierung kön­nte ihr volles diplo­ma­tis­ches Gewicht hin­ter eine solche Anstren­gung stellen.”

Cri­sis Group

Die Tötung des iranis­chen Kom­man­deurs Qassem Suleimani im Jahr 2020 durch die US-Regierung unter Präsi­dent Don­ald Trump hat das extrem anges­pan­nte Ver­hält­nis zwis­chen bei­den Län­dern fast zum Zer­reißen gebracht. Pos­i­tiv stimmt dabei nur die Tat­sache, dass die Mul­lah-Regierung in Teheran trotz wüten­der Worte von ausufer­n­den Gewalt­maß­nah­men abge­se­hen hat. Der neuen Admin­is­tra­tion in Wash­ing­ton unter Joe Biden obliegt es nun, einen der weltweit gefährlich­sten Kon­flik­therde zu beruhi­gen. Schon jet­zt aber ist klar für 2021: Zehn Kon­flik­te wer­den Sor­gen machen, darunter der Iran.

Das Haupt­prob­lem ist, dass der Iran sich nicht mehr an den “Gemein­samen umfassenden Aktion­s­plan” (Joint Com­pre­hen­sive Plan of Action, JCPOA) gebun­den fühlt, der Iran Fes­seln bei der mil­itärischen Entwick­lung von Atom­kraft aufer­legt. Er war 2015 müh­sam unter EU-Ver­mit­tlung zus­tande gekom­men und 2018 von Trump ein­seit­ig gekündigt wor­den. Daraufhin hat der Iran mehrere ver­tragliche Verpflich­tun­gen reduziert und nuk­leare Uranan­re­icherungszen­trifu­gen sowie die Entwick­lung bal­lis­tis­ch­er Raketen hochge­fahren.

EU erneut als Vermittler?

Par­al­lel betreibt der Iran in der Gol­fre­gion und auf der ara­bis­chen Hal­binsel eine asym­metrische Kriegs­führung. Er beschlagnahmte aus­ländis­ch­er Öltanker, sabotierte Frachtschiffe in dem Gebi­et und schoss gegen saud­is­che Indus­trieziele.

Die Regierung in Teheran sitzt unter­dessen fest im Sat­tel. Die Tötung ihres höch­sten Atom­wis­senschaftlers — ange­blich durch Israel — hat die Mul­lahs eher noch gestärkt. Trotzig haben sie Dro­hun­gen umge­set­zt und die Pro­duk­tion von höher angere­ichertem Uran in der unterirdis­chen Forschungsan­lage For­do angekurbelt — ein pro­vokan­ter und klar­er Ver­stoß gegen das Atom­abkom­men.

Ob der neue US-Präsi­dent Biden den Iran zur Wiedere­in­hal­tung des Atom­abkom­mens brin­gen und ihm neue Zusicherun­gen zur mil­itärischen Zurück­hal­tung abrin­gen kann, ist mehr als fraglich. Viel hängt auch davon ab, ob die Europäis­che Union erneut als Ver­mit­tler zwis­chen dem Staat am Golf und ihrem transat­lantis­chen Part­ner auftreten kann.

9. Rus­s­land / Türkei 🇷🇺 🇹🇷

“Mit ihren jew­eili­gen Stre­itkräften, die so nahe an mehreren Frontlin­ien liegen, gibt es viele poten­zielle Flamm­punk­te. Eine Ver­schlechterung ihrer Beziehun­gen kön­nte für bei­de Natio­nen und mehr als ein Kriegs­ge­bi­et Ärg­er bedeuten.”

Cri­sis Group

Vor der Tür Europas spielt sich der Kon­flikt zwis­chen Rus­s­land und der Türkei ab. Es ist ein merk­würdi­ger Kon­flikt, da bei­de Seit­en auf der inter­na­tionalen Bühne zum Teil gegeneinan­der und ander­er­seits füreinan­der arbeit­en. Mal sind sie zugle­ich erbit­terte Geg­n­er — wie in Libyen und Syrien -, und dann wieder Part­ner. Let­zteres etwa bei der Rüs­tungsko­op­er­a­tion, die Ankara trotz Sank­tio­nen der USA aus­baut. So kaufte die Türkei das rus­sis­che Luftab­wehrsys­tem S‑400 und verärg­erte damit ihre NATO-Part­ner.

Auch im jüng­sten Bergkarabachkon­flikt standen sich Rus­s­land und die Türkei im Krieg der Staat­en Arme­nien und Aser­baid­schan feindlich gegenüber — und gewan­nen jew­eils an Wirk­möglichkeit­en. So hielt Rus­s­land trotz sein­er Mil­itäral­lianz mit Arme­nien still, ver­mit­telte dann einen Waf­fen­still­stand und sicherte sich durch Sta­tion­ierung rus­sis­ch­er Blauhelme deut­lich mehr Ein­fluss in der Region. Die Türkei wiederum unter­stützte das siegre­iche Aser­bei­d­schan indi­rekt durch Diplo­matie und Waf­fen gegen türkische (und istraelis­che) Drohnen und bekam dafür einen Han­del­sko­r­ri­dor.

Miteinander gegeneinander

Das Miteinan­der und gle­ichzeit­ige Gegeneinan­der Rus­s­lands und der Türkei birgt das Risiko, dass sich ein Kon­flikt, in dem sie sich gegenüber­ste­hen, durch ein Miss­geschick ver­schärft, befürchtet die Cri­sis Group. Es kön­nte aber auch sein, dass sich hier zwei Mächte zueinan­der find­en, die im West­en voller Skep­sis gese­hen wer­den. So ste­ht Rus­s­land wegen sein­er Ukraine‑, Syrien- und Men­schen­recht­spoli­tik ähn­lich in der Kri­tik, wie die Türkei, die immer wieder wegen der Kur­den- und Oppo­si­tionel­len­ver­fol­gung sowie ihrer Mach­tansprüche nicht nur im östlichen Mit­telmeer andauernd an den Pranger kommt.

Auf jeden Fall bleibt das eige­nar­tige Ver­hält­nis zwis­chen Rus­s­lands Präsi­dent Wladimir Putin und seinem türkischen Kol­le­gen Recep Tayyip Erdoğan ein Unsicher­heits­fak­tor für die inter­na­tionale Sicher­heit.

10. Kli­mawan­del 🌎☀️🌧️

“Es gibt Grund zum Opti­mis­mus. Die neue US-Regierung hat die Kli­makrise auf ihre Tage­sor­d­nung geset­zt. West­liche Regierun­gen und Unternehmen haben sich verpflichtet, ärmeren Län­dern ab 2020 jährlich 100 Mil­liar­den US-Dol­lar für die Kli­maan­pas­sung zur Ver­fü­gung zu stellen. Sie soll­ten diesen Verpflich­tun­gen nachkom­men.”

Cri­sis Group

Was hat der Kli­mawan­del mit Kriegen und Kon­flik­ten zu tun? Ganz ein­fach: Dort, wo sich die Lebens­be­din­gun­gen von Men­schen (und Natur) ver­schlechtern, ist Gewalt wahrschein­lich­er. Und dort, wo es gelingt, den Anstieg der Erdtem­per­atur im Lot zu hal­ten, wird es friedlich­er zuge­hen. Schon vor einiger Zeit habe ich darüber geschrieben, wie der Kli­mawan­del längst in mil­itärische Hand­lun­gen einge­flossen ist.

“Der all­ge­meine Trend ist klar: Ohne rasche Aktion wer­den klim­agetriebene Kon­flik­te in den kom­menden Jahren zunehmen.”

Cri­sis Group
  • Beispiel Nord-Nige­ria. Im Nor­den des bevölkerungsre­ich­sten Land Afrikas (200 Mil­lio­nen) haben Dür­ren zu kämpferischen Auseinan­der­set­zun­gen um Wasser­stellen zwis­chen Hirten und Bauern geführt. Die Zahl der Opfer ist dop­pelt so hoch, als die der Toten durch Anschläge der islamistis­chen Ter­rormiliz Boko Haram.
  • Beispiel Nil. Ägypten und Äthiopi­en dro­gen sich gegen­seit­ig mit Mil­itärein­satz wegen des Stau­damm­pro­jek­tes Grand Ethiopi­an Renais­sance Dams, das die abfließende Wasser­menge des läng­sten Flusses der Erde (6.650 Km) steuer­bar macht.
  • Weit­ere Beispiele: Ähn­liche klim­agetriebene Ressourcenkon­flik­te dro­hen in Teilen Asiens sowie in Lateinameri­ka und im Nahen Osten.

Vergeigen Industrieländer ein Jahrhundertthema?

Es liegt auf der Hand: Reko­rd­hitzewellen, extreme und außer­halb der Sai­son ein­tre­tende Regen­fälle oder steigende Meer­esspiegel brin­gen Insta­bil­ität mit sich. Mehr Men­schen wer­den den unwirtlichen Lebens­be­din­gun­gen zu ent­fliehen ver­suchen. Eine neuere Unter­suchung zeigt: Ein Anstieg der durch­schnit­tlichen Erdtem­per­atur um zwei Grad Cel­sius bedeutet, dass die Wahrschein­lichkeit bewaffneter Kon­flik­te um 13 Prozent steigt.

“Es gibt aber Gründe für Opti­mis­mus,” stellt die Cri­sis Group fest. Die kün­ftige US-Regierung unter Joe Biden hat angekündigt, den Kli­mawan­del an die Spitze ihrer Vorhaben zu stellen. West­liche Län­der und Unternehmen haben armen Län­dern rund 100 Mil­liar­den US$ jährlich an Unter­stützung für die Anpas­sung an den Kli­mawan­del zuge­sagt.

“Die selb­st einge­gan­genen Verpflich­tun­gen müssen nun einge­hal­ten wer­den,” so die Cri­sis Group. Entwick­lungsna­tio­nen bedür­fen zunehmender Unter­stützung durch diejeni­gen, deren unmäßiger Ver­brauch fos­siler Brennstoffe die Krise erst aus­gelöst hat.”

P.S.: Inzwis­chen gehen Wis­senschaftler davon aus, dass sich die Erder­wär­mung tat­säch­lich abschwächen wird, wenn die notwendi­gen Schritte ein­geleit­et wer­den…

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Auch ein Kon­flik­t­poten­zial: Das Coro­n­avirus… / Grafik: Gary Varvel / © 2020 Cre­ators Syn­di­cate