Die erbitterten Kämpfe in der Ukraine toben am Boden. Doch die Militärs blicken auch nach oben. Längst spielt der Weltraum eine wichtige Rolle im Krieg zwischen dem Angreifer Russland und den Verteidigern.
Hamburg (waw) – “Es ist eine Tatsache: Wir befinden uns im Weltraum in einem Wettlauf.” So lässt sich Bill Nelson, Chef der US-Raumfahrtbehörde NASA im britischen Magazin The Economist zitieren.
Nelson weiter: Sollte es China gelingen, auf dem Mond zu landen, bevor die USA dorthin zurückkehrten, könnte sich die Volksrepublik die Mondressourcen aneignen und den US-Amerikanern sagen: “Bleibt draußen, wir sind hier, das ist unser Gebiet”.
Der Economist merkt dazu an, dass Nelson grundsätzlich Recht habe, allerdings nicht bei der Benennung des Wettlaufgebietes. Der Mond habe nur symbolischen Wert, aber keine nützlichen Ressourcen. Richtig jedoch sei, dass es ein Weltraumrennen gebe – nur: “Er findet näher an der Erde statt.” Und es sei ein Kräftemessen, dass die USA dank eines einzigen Privatunternehmen gewinnen müssten – dazu später.
Zunächst jedoch die brisanteste Schwierigkeit. Und die besteht darin, dass die militärischen Satellitenaufklärung der USA und Großbritanniens dem Militär in Kiew zum Ärger des Kreml extrem genaue Zieldaten bereitstellt. Das erklärt die beachtlichen Erfolge der Angegriffenen gegen russische Panzer, Transporter, Artilleriestellungen und andere Ziele. Selbst auf große Distanz schlagen ukrainische Drohnen und Raketen präzise ein.
Satellitenabschuss angedroht
Russland hat den Spionen im Weltall nichts entgegenzusetzen und antwortet daher mit Terror gegen Zivilisten und Infrastruktur.
Außerdem warnen Putins Soldaten, zurückschlagen und kriegsentscheidende US-Satelliten abschießen zu wollen. Das gelte auch für private Trabanten, wenn diese Daten an die Ukraine weitergeben, berichtet der “Business Insider”. Dazu gehört das Luft- und Raumfahrtunternehmen Terran Orbital aus Boca Raton, Florida. Die Selenskyj-Regierung dankte dem Pionier der Kleinsatellitenoffen schon kurz nach dem russischen Einmarsch öffentlich auf Twitter (siehe oben).
Die ausgestoßene Drohung Moskaus ist allerdings bislang nur eine Worthülse. Und dennoch – sie womöglich keine ganz leere Drohung. So habe Russland bereits einen eigenen Satelliten in der Umlaufbahn mit einer Laserwaffe zerstört, berichten Experten. Die Föderation solle sogar seit 2014 über einen Satelliten verfügen, der “möglicherweise” andere Satelliten abschießen könne.
Dass jetzt in russischen Labors mit Volldampf an der Verfeinerung solcher Systeme gearbeitet wird (wenn es sie denn gibt), das lässt sich an fünf Fingern abzählen. Für Moskau sind die Spionagesatelliten schon deshalb hochnotpeinlich, weil der Westen über sie die Sammlung von Beweismaterial für die Verfolgung von Kriegsverbrechen betreibt. Die USA arbeiten seit 1959 an Satellitenabwehrtechnologien, haben sich aber kürzlich zu einem Verbot von Abschusstests bekannt, ebenso wie Deutschland und andere westliche Staaten.
Die Zerstörung eines Flugkörpers im All wäre übrigens nach Artikel 39 der UN-Charta ein kriegerischer Akt. Damit wäre er gegen die USA – eine am Kampf nicht direkt beteiligte Partei – unerlaubt bzw. ein Bündnisfall für die gesamte NATO. Darauf verweist Weltraumjurist Stephan Hobe von der Uni Köln im Gespräch mit Business Insider.
Weltraum-Krieg über Ukraine?
Wird das Weltall trotzdem bald zum Schlachtfeld, wie Medien es an die Wand malen? Setzt Russland tatsächlich bald Antisatellitenwaffen (ASAT) ein. Die Prognosen dazu sind in der Fachwelt eher “beruhigend”:
“Ein Raketen-Angriff auf Satelliten ist technisch möglich. Aber wird Russland das wirklich tun? Ich glaube nein.”
Juliana Süß, Weltraum-Expertin des unabhängigen Royal United Services Institute, London
Kaitlyn Johnson, Expertin für Weltraumkrieg am Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington, sagt in der schweizerischen Zeitung Blick: Es gebe mehrere andere Möglichkeiten, wie Russland weltraumgestützte Infrastruktur angreifen könnte. Dazu zählten Cyberangriffe und bodengestützte Störsender.
Der Ukraine-Krieg hat unterdessen zu einer weiteren bemerkenswerten Militärnutzung im Weltraum geführt:

Gemeint ist die Initiative des US-Milliardärs und Technologie-Tausendsassas Elon Musk. Er hat der Ukraine im vergangenen Jahr gratis Internetzugänge seines hoch über der Erde kreisenden Starlink-Systems bereitgestellt. Es lässt sich von nur etwas mehr als tellergroßen Bodenterminals via Autobatterien betreiben (links). So sollte zumindest örtlich die von Russland zerstörte Kommunikations-Infrastruktur ersetzt werden.
Kurzzeitig hatte der launische SpaceX-Besitzer überraschend Geld für seinen angeblichen Liebesdienst gefordert. Das wollte oder konnte aber niemand zahlen. Inzwischen einigte sich die Ukraine mit SpaceX. Nach und nach gehen mehr als 10.000 Starlink-Terminals über den neuen Musk-Dienst Starshield in das umkämpfte Land.
Die Europäische Union (EU) ist über die mögliche Abhängigkeit ganzer Staaten im Weltraum von einem Privatmann nicht glücklich. Der Staatenverbund plant eine staatliche Alternative zum Starlink-Internet von SpaceX. Rund sechs Milliarden Euro sollen dafür bereitgestellt werden, schon nächstes Jahr (2024) soll das EU-Projekt starten und 2028 den Einsatz beginnen.
Nebenbei bemerkt:
Die Ukraine ist zwar satellitenlos, war aber der Geburtsort der Kosmonautik. Das merken die “Ukraine Nachrichten” nicht ohne Stolz an. Schließlich sei in der Ukraine der erste Satellit der Welt, “Sputnik”, entwickelt worden. Das UdSSR Raumfahrtprogramm hätte ohne ukrainische Konstruktionsbüros nicht stattgefunden. Hier seien herausragende Wissenschaftler geboren worden und sie arbeiteten heute noch in der Ex-Sowjetrepublik.
“Ukraine ist eine unterschätzte Raumfahrtnation. Ohne ukrainische Technik bleiben viele Raketen in den USA, Europa und Russland am Boden. Oft bleibt sie ungenannt oder wird sogar verheimlicht.”
Frank Wunderlich-Pfeiffer, Technikjournalist
Ob die Ukraine weiterhin eine Weltraummacht bleibt, wenn der Frieden einkehrt, ist nicht vorauszusehen. Die Europäische Raumfahrtbehörde ESA hätte aber sicherlich nichts dagegen einzuwenden, wenn künftig das Know-how eines EU-Mitgliedes Ukraine dabei mithelfen würde, Europa im Weltraum-Wettlauf wettbewerbsfähig zu halten.