Kommentar von Wolf Achim Wiegand
Hamburg/Brüssel (waw) – Mit gewiss großer Genugtuung haben Hunderte Mitglieder des Europäischen Parlaments (EP) Aufmerksamkeiten und Lobesworte der Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen. Gleich mehrmals hat die einzige direkt gewählte Institution der Europäischen Union (EU) in der vergangenen Woche als bahnbrechend empfundene Entschließungen gefasst:
- Bundeskanzler Olaf Scholz solle der Ukraine Leo-2-Panzer liefern,
- die iranischen Revolutionsgarden mögen bitteschön auf der EU-Terroristenliste landen,
- die EU müsse eine strategische Zusammenarbeit mit Taiwan aufbauen,
- Marokko möge alle politischen Gefangenen und inhaftierten Journalisten freilassen
- es solle ein Sondertribunal zum Krieg gegen die Ukraine eingerichtet werden.
“Der Weg zurück zum Frieden beginnt mit der Einrichtung eines Sondertribunals. Lasst uns damit – anders als beim ‘Leopard’ – nicht schon wieder zu spät sein.”
Andrius Kubilius, litauischer Christdemokrat
Paff!
Gemeinsam ist allen mehrheitlich angenommenen Texten, dass sie Aufmerksamkeit erregt haben. Gemeinsam ist den Beschlüssen aber auch, dass sie einen Bindungseffizienten von gleich null haben.
Fast niemand hat die Absicht, gut gemeinte Absichten nur aufgrund einer EP-Entschließung in die Praxis umzusetzen. Nicht die Europäische Kommission, nicht der Europäische Rat und schon gar nicht die 27 nationalen EU-Regierungen. So geht der Antrag, die iranische Revolutionsgarde auf die EU-Terrorliste zu setzten, zunächst an die Bewertungsgruppe “Restriktive Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung“ (COMET). Sollte sie dem Parlament zustimmen, befasst sich der Europäische Rat, also die Regierungschefs damit – nur einstimmig können sie die Aufnahme in die Terrorliste beschließen – sie KÖNNEN, aber sie MÜSSEN nicht.
Der Mangel an Power erklärt, warum ausgerechnet die in Berlin mit ampelnden Grünen in Gestalt ihres Europaabgeordneten Reinhard Hans Bütikofer hinter der martialischen Forderung nach ukrainischer Panzeraufrüstung gegen Russland stecken. Der Politiker und seine Partei wissen genau: Den Kanzler muss die Entschließung ebenso wenig jucken, wie Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Bütikofers zahnloses Tigern taugt letztlich nur fürs Salben empfindlicher grüner Basisseelen.
Macht Europas Parlament endlich stark!
Das mal in Brüssel und mal in Straßburg tagende Parlament kann sich eben Schaufensterbeschlüsse leisten. Weil es wenig Kompetenzen hat und keine echten Konsequenzen tragen muss. Weil niemand in Verantwortung gehen muss. Weil es keine vom Parlament getragene Regierung stützen muss. Niemand muss Koalitionen schließen und über realpolitisch machbare Kompromisse schließen.
Das festzustellen ist kein Vorwurf, sondern eine Tatsachenerinnerung.
Ich bin dafür, dass Europa endlich echte föderale Strukturen ausbildet und sein Parlament eigene gesetzgeberische Rechte bekommt. Dann hätte ein Beschluss wirklich Wirkung. Hätte, hätte Panzerkette.
„Meine Idee ist, dass wir die Nationalstaaten durch eine europäische Republik ersetzen.“
Robert Habeck (Grüne), Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister

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Übersicht über die angenommenen Texte des Europäischen Parlaments