2023/17 EUROPA Top-Ten-Themen der Woche: Schulden, Offshore, Taiwan

EUROPA: Die Top-Ten-Themen der Woche

Von WOLF ACHIM WIEGAND 🇪🇺

Was hat Europa vergangene Woche an- und umgetrieben?

Nach dem FDP-Vorstoß um die Zulassung klimaneutraler Synthetikkraftstoffe (E-Fuels) könnte Berlins Haltung in der EU-Schuldenfrage erneut dazu führen, dass Deutschland als Buhmann dargestellt wird. Denn Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will den Versuch der EU-Kommission stoppen, den 27 Mitgliedsstaaten mehr Flexibilität beim Abbau von Verbindlichkeiten zu gewähren. Die Grünen heim in Berlin und mehrere EU-Regierungen, darunter die von Frankreichs Macron, teilen Lindners Einwände nicht. Streit vorprogrammiert.

Aber auch die EU selbst eckt an. So kommt die Forderung ihres Außenbeauftragten Josep Borrell, die Marinen der einzelnen Nationen sollten vor Taiwan Wache fahren, nicht in jeder Hauptstadt gut an. Mehr Gemeinsamkeiten im Staatenverbund gibt es hingegen bei Neuerungen auf dem Gasmarkt und bei Absichtserklärungen, die Nordsee zu einem der größten Energiegewinnungszentren der Welt auszubauen. Allerdings: Man hört die Bedenkenträger aus der Umwelt- und Klimaschutzszene bereits trapsen…

DAS ALLES UND NOCH VIEL MEHR ⤵️

Politik Foto Europa Ursula von der Leyen

Streit um EU-Schuldenregeln: 

Nur Minuten nach Veröffentlichung des Kommissionsvorschlages zur Reform der EU-Schuldenregeln hat Finanzminister Christian Lindner (FDP) Bedenken angemeldet. Die Brüsseler Ideen seien unzureichend, ließ Lindner verlauten. Er verlange „deutliche Anpassungen, um zu wirklich verlässlichen, transparenten und verbindlichen Regeln zu kommen.“

Der Liberale will unter anderem sicherstellen, dass Länder wie Italien und Griechenland ihre Schulden weiterhin stetig abbauen. Bislang gilt die Regel, rote Zahlen mit einer Geschwindigkeit von 1/20 pro Jahr auf maximal 60 Prozent des BIP zurückführen – andernfalls drohen Sanktionen. Die nun in Brüssel angestrebten ausgegebenen Ziele würden das flexibler handhaben. faz.net 

„Die Bürgerinnen und Bürger erwarten stabile Staatsfinanzen“

Christian Lindner (FDP), Bundesfinanzminister

EU-Navys ab nach Taiwan?

EU-Chefdiplomat Josep Borrell befürwortet Patrouillen europäischer Seestreitkräfte in der umstrittenen Straße von Taiwan entlang der chinesischen Küste. Die vom kommunistischen China beanspruchte demokratische Inselrepublik “betrifft uns wirtschaftlich, kommerziell und technologisch”, sagte Borrell im französischen Sonntagsmagazin Journal Du Dimanche. Er konterte damit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der eine automatische EU-Reaktion für Taiwan in Frage stellt. Die Meeresregion, über die gut die Hälfte des weltweiten Seeverkehrs läuft, war kürzlich Ziel chinesischer Manöver zur Simulation gezielter Angriffe und Blockaden. lejdd.fr

Anti-Korruptionsreformen stocken:

EU-Ombudsfrau Emily O’Reilly ist unzufrieden mit der Umsetzung angekündigter Transparenzreformen im Europäischen Parlament. Dessen Präsidentin Roberta Metsola werde von Abgeordneten und Fraktionen „bedrängt“, ihre eigenen 14 Reformvorschläge zu verwässern, sagte die Irin. So solle die Karenzzeit für Lobbyarbeit ehemaliger Parlamentarier von ursprünglich geplanten zwei Jahren auf sechs Monate verkürzt werden. Striktere Maßnahmen gegen mögliche Korruption sind seit „Katargate“ vom Dezember im Gespräch. Seitdem ermittelt die Justiz wegen Abgeordnetenbestechung. tagesspiegel.de

Unterschätzte Hybrid-Gefahren:

Die EU und die NATO tun nicht genug, um hybride russische Bedrohungen zur Destabilisierung der Gesellschaft besser abzuwehren. Das stellt ein Strategiepapier der proeuropäischen Brüsseler Denkfabrik Centre for European Reform (CER) fest. Darin wird empfohlen, dass die europäischen Länder der Investition in ihren Schutz vor Störungen oberste Priorität einräumen, insbesondere für lebenswichtige Energie- und Kommunikationsinfrastrukturen. Ziel müsse es sein, die Widerstandsfähigkeit bis auf die lokale Ebene inklusive Privatsektor und Zivilgesellschaft zu stärken. Als „verdächtige Vorfälle“ zählt CER die Unterbrechung des Bahnverkehrs in Deutschland, die Sabotage von Kommunikationskabeln in Frankreich und GPS-Störungen in Finnland auf. cer.eu

Wirtschaft Foto Europa Ursula von der Leyen

Quantensprung im EU-Gasmarkt:

Seit dieser Woche können europäische Unternehmen auf der neuen EU-Plattform „AggregateEU“ gemeinsam Gas einkaufen. Die Bündelung der Marktmacht solle dabei helfen, mit internationalen Lieferanten bessere Preise auszuhandeln, erläutert EU-Energiekommissar Maroš Šefčovič. Außerdem hoffe die Kommission auf diese Weise die europäischen Gasspeicher so befüllen zu können, dass die Menschen in den 27 Mitgliedsländern sicher durch den nächsten Winter kommen. Interessierte Unternehmen müssen sich bis zum 2. Mai eintragen, danach werden die benötigten Mengen aggregiert und auf dem Weltmarkt ausgeschrieben. germany.representation.ec.europa.eu audiovisual.ec.europa.eu (Erklärvideo)

Rückenwind für Offshore:

Massive Investitionen sollen die europäischen Windenergieprojekte auf See beschleunigen. Das haben neun Länder mit insgesamt über als 175.000 Kilometern Küste beim „Nordsee-Gipfel“ festgelegt. Mit dabei: Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Anlass des Treffens war der stockende Bau von Windkraftwerken in der Nordsee, im Atlantik sowie in der Irischen und Keltischen See. Großbritannien und die Niederlande kündigten den Bau eines gigantischen Untersee-Stromverbundnetzes namens „Lion Link“ an. Mit Norwegen entsteht eine „Grüne Allianz“ für Klima, Umwelt und Energie. Belgien wird die weltweit erste künstliche Energieinsel errichten. Über allem schwebt die Sorge vor russischer Spionage und Sabotage.

wiwo.de (Hintergrund) twitter.com (TV-Bericht) twitter.com (Sabotage) offshore-energy.biz (U-Strom)

white windmill under gray cloudy sky

Sauber fliegen: 

Das Europaparlament und der Rat der EU-Regierungschefs haben nach Monaten intensiver Arbeit eine vorläufige Einigung zur Dekarbonisierung des Luftfahrtsektors erzielt. Danach wird es weltweit erstmals verbindliche Vorgaben für die Verwendung grüner Treibstoffe in Flugzeugen geben. Damit soll ein Markt für umweltfreundliche Benzine in Gang gebracht und die CO2-Bilanz des Luftfahrtsektors verringert werden. Die “ReFuelEU Aviation“-Initiative ist Teil des vor Kurzem beschlossenen “Fit for 55”-Klimapakets, das die EU bis zum Jahr 2050 klimaneutral machen soll. consilium.europa.eu

EU und China – wer löst den Knoten?

Von 中国新闻网, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=107344862

Als erster Minister aus Peking seit der Corona-Pandemie hat der für Handel zuständige Ressortchef Wang Wentao bei der EU in Brüssel Station gemacht. Dabei beklagte EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis “Zweifel und negative Anreize für europäische Investoren”. Grund seien Chinas “marktverzerrende Politik und zunehmende Politisierung des Geschäftsumfelds”. Unterdessen wollen die 27 EU-Außenminister im Mai ein Strategiepapier zu China aktualisieren und im Juni soll der EU-Gipfel auf höchster EU-Ebene das weitere Vorgehen beschließen. Frankreich, Deutschland und die EU-Institutionen müssen bis dahin Differenzen beilegen. politico.eu

Gewinner im Rüstungswettlauf ist…

Die weltweit höchste Steigerungsrate von 13 Prozent bei den Militärausgaben hat im vergangenen Jahr Europa erreicht. Das meldet Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI. Das Plus erklärt sich aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Militärausgaben der Ukraine selbst stiegen um 640 Prozent auf 44,0 Milliarden US-Dollar. Das sind 34 Prozent vom BIP und der höchste Wert, den SIPRI je in einem Jahr gemessen hat. Die Top 5 der Militärausgaben belegen die USA, China, Russland, Indien und Saudi-Arabien. esut.de

Zitat Foto Europa Ursula von der Leyen

„Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung. Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen.“

Robert Schumann, Außenminister von Frankreich, am 9. Mai 1959
Gesellschaft Foto Europa Ursula von der Leyen

Ex-Rebell nun Scheichbegöscher:

Der italienische Ex-Außenminister Luigi Di Maio darf sich künftig Sonderbeauftragter der EU für die Golfregion nennen. Der 36jährige soll als EU-Lobbyist gute Stimmung bei finanzstarken und energiereichen Scheichs machen. Di Maio gehörte einst zur Protestbewegung Fünf-Sterne-Partei und gilt als schillernde Figur. Frühere Gefolgsleute werfen ihm Karrierismus vor, denn er wechselte mehrmals seinen politischen Standpunkt. Die Berufung durch den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell bedarf noch einer Mehrheit unter den EU-Regierungen. tagesspiegel.de

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Klimaschonzeit für Kühe? 

Was für Autos, Flugzeuge und Schiffe gelten soll, soll für Rindvieh nicht gelten. Klingt schräg, ist aber bitterernst. Der Agrarausschuss des EU-Parlaments ist jedenfalls dagegen, Kühe und anderes Getier in die EU-Pläne zur Emissionssenkung einzubeziehen. Bislang sollte die überarbeitete Richtlinie über Industrieemissionen (IED) auch Tierhaltungsbetriebe erfassen. Doch die Gesetzgeber sehen darin eine zu “große administrative und wirtschaftliche Belastung für Landwirte, die Hühner, Schweine und Rinder züchten”. Umweltgruppen und Aktivisten prangern das als „landwirtschaftlichen Exzeptionalismus“ an. 

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