Estland hält stand – Böser Nachbar Russland bleibt (noch?) auf Distanz – Foto- und Videokurzreportage

Inhalt: Die kleine baltische Republik Estland hält am östlichsten Zipfel der EU-Außengrenze die Wacht des Westens. Sie steht gegen den übermächtig erscheinenden Nachbarn Russland. Die Menschen des Ostseestaates, der einst als Sowjetrepublik missbraucht wurde, haben Wertvolles zu verteidigen. Es geht um nationale Unabhängigkeit, Demokratie und eine einzigartige Kulturgesellschaft. Ihr gelingt es nach Jahren des Kommunismus aus Tradition und Moderne innovative Kräfte zu schöpfen. Eindrücke von meiner Reise.

Von Wolf Achim Wiegand

Tallinn / Hamburg (waw) – Im Angesicht der Zwillingsfestungen am Grenzfluss Narwa ist mir die erneute Spaltung Europas nochmals so richtig bewusst geworden. Auf “unserem” Ufer steht die Hermannsfeste. Die wurde Mitte des 13. Jahrhunderts von den Dänen gegründet. Die Hermannsfeste steht der mächtigen Burg Iwangorod gegenüber. Die wurde 1492 durch Zar Iwan III am östlichen Ufer angelegt. Es ist ein Trutzbauwerk.

Beide Burgen stehen sich etwa 150 Meter voneinander entfernt gegenüber. Trennen tut sie nur das tiefe Flusstal.

Nerwa Estland Iwangorod

Der Deutsche Orden, der das Baltikum wie einen Staat beherrschte, hatte in der Hermannsfeste seinen östlichsten Verteidigungspunkt gegen Russland. Danach verschanzten sich hier die Schweden. Erst im Zweiten Weltkrieg wurde sie unbrauchbar zerstört – und mit ihr der Großteil der heute estnischen Stadt Narwa.

Man kann Russland, das sich seit den 80er Jahren immer mehr von Westeuropa abgekapselt hat, von der Herrmannfeste aus wie in einem Modellbaukasten in den Hinterhof blicken. Man könnte den Leuten etwas zurufen, die da am anderen Ufer herumlaufen dürfen und einem normal erscheinenden Alltag nachgehen Sie sind ja nur durch einen überwindbar erscheinenden Fluss getrennt. Und das, obwohl vor den Wohnhäusern hohe Stacheldrahtverhaue stehen – wer also darf so etwas?

Fragen ans andere Ufer

Wer ist die junge Frau, die am letzten russischen Grenzpfahl vor dem NATO-Gebiet mit dem Handy ein Selfie nach dem anderen von sich schießt?`Wer ist die Familie mit dem schwarzen Hund, deren Sohn fröhlich im Wasser planscht? Was denkt der einsame Angler, der Fische fängt, die ebenso gut beim ebenfalls allein ködernden Mann am Westufer hätten vorbeischwimmen können?

Eine Kontaktaufnahme findet nicht statt links und rechts des Brückenkopfes von Narwa, der im Frühjahr und Sommer 1944 den blutigen Schauplatz einer längeren Schlacht zwischen Teilen der deutschen Heeresgruppe Nord und der sowjetischen Leningrader Front bildete. Es geht hier um den Besitz der Landbrücke zwischen Finnischem Meerbusen und Peipussee, der den Vormarsch nach Estland ermöglicht. Wird womöglich hier – wo nicht Kommandeure, sondern Museumsdirektoren herrschen, bald wieder eine erbitterte Schlacht ausgetragen?

Diese Gedanken waren mit die intensivsten, die ich auf meiner zehntägigen Tour durch Estland, das Land eines Teiles meiner Vorfahren, im Kopf hatte.

Eindrücke von meiner Reise im Sommer 2023.

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