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Von Wolf Achim Wie­gand

Ham­burg / Brüs­sel (waw) — Sel­ten war die Aktiv­ität von Gaunern und Ganoven so ger­ing, wie in den jet­zi­gen Zeit­en der Coro­n­akrise. Leere Straßen und geschlossene Gren­zen haben die Krim­i­nal­ität in vie­len Bere­ichen zurückge­drängt. Es ist logisch: wenn die meis­ten Men­schen wegen der Aus­gangs­beschränkun­gen zu Hause sind haben es Ein­brech­er schw­er. Und in ver­wais­ten Fußgänger­zo­nen und Bahn­höfen ist Taschendieb­stahl eher nicht so lukra­tiv. Auch Dro­gen­han­del für den täglichen Bedarf ist kom­pliziert­er gewor­den, weil sich Deal­er schwieriger in der Menge “auflösen” kön­nen.

Aber: Straftäter sind kreativ. Deshalb gibt es Bere­iche, in denen die Coro­n­akrise neue ille­gale Geschäft­sideen geboren hat. Etwa Betrügereien und Geld­schnei­derei mit Schutz­ma­te­r­i­al oder Medika­menten. Im Inter­net tum­meln sich inex­is­tente Online-Shops mit Luftange­boten, die saftige Vorkasse ein­stre­ichen ohne dass das erwün­schte Pro­dukt je den Besteller erre­icht — oder es ist bil­lig gefälscht und wirkungs­los. In NRW beobacht­en Experten sog­ar mafiöse Erpres­sungsat­tack­en gegen finanziell in Not ger­atene Barbe­sitzer und Gas­tronom­ie­gast­ge­ber.

Dass aktuelle Sta­tis­tiken den Ein­druck erweck­en, als sei die Coro­n­azeit der Traum jeden Krim­i­nal­itäts­bekämpfers gewe­sen, ist ein trügerisches Bild. Laut Experten kommt das dicke Ende erst noch — und das umso heftiger, je mehr der gesellschaftliche Lock­down been­det wird. Das Run­ter­fahren des öffentlichen Lebens habe Geset­zes­brech­ern eine Atem­pause ver­schafft, um sich neu aufzustellen.

Europol, die EU-Polizeibehörde warnt davor, die Hände in den Schoß zu leg­en. Das in Den Haag, Nieder­lande, sitzende Amt hat kür­zlich eine Abschätzung darüber vorgelegt, wie sich das organ­isierte Ver­brechen auf die Nach-Coro­na-Zeit vor­bere­it­et. Das Ergeb­nis: nieder­schmetternd. Die Europol-Mafi­aspezial­is­ten kom­men zu dem Schluss, dass es mit der rel­a­tiv­en Ruhe unter schw­eren Jungs bald vor­bei sein wird.

Welle der Schwerstkriminälität rollt an

Die Europol-Mafi­aspezial­is­ten war­nen: Mit dem Lösen der Coro­n­afes­seln wer­den auch aller­lei ille­gale Machen­schaften freige­set­zt.

Zupass kommt der Krim­i­nal­ität der all­ge­meine Wirtschaftsab­schwung. Der werde die organ­isierte Ver­brech­er­szene “fun­da­men­tal” for­men. Ziel­gruppe für die Mafia seien neue sozial ver­wun­dete Ver­lier­ergrup­pen der Gesellschaft, weil diese anfäl­lig für ille­gale Begehrlichkeit­en seien.

Wer wirtschaftlich am Ertrinken ist, der greife eben gerne ohne große Über­legun­gen zu einem ver­meintlichen Ret­tungsanker. Wer nicht auf­passe, ger­ate rasch in die Hand von Kred­ithaien und Erpressern.

Deutschland — Paradies der Geldwäscher

Der Autor an der deutsch-nieder­ländis­chen Gren­ze, einem Haup­tum­schlag­platz für Geld­wäsch­er und Kokain­händler

Auch das durch Coro­na verän­derte Ver­braucherver­hal­ten werde dazu führen, dass sich die Unter­welt europaweit neue Geschäfts­felder auf­baue, prophezeit Europol. Kün­ftig werde schnelles Geld­machen mehr gesellschaftliche Akzep­tanz find­en, eben­so die Abnahme gefälschter Pro­duk­te und das Einge­hen unsauber­er Arbeitsver­hält­nisse. Geld­wäsche, Schutzgeld und Sche­in­fir­men bis hin zum Han­del mit Migranten aus ver­armten Län­dern — für all das könne eine neue Blütezeit kom­men.

Darüber hin­aus gebe es Anze­ichen, dass die Mafia hohe Schwarzgeld­sum­men in Gas­tronomie investiere, um notlei­dende Bars unter ihre Kon­trolle zu brin­gen, so Europol. Beson­ders anfäl­lig sei zudem der Immo­biliensek­tor. Er sei in Teilen eng ver­woben mit Geld­wäscheak­tiv­itäten.

Sebas­t­ian Fiedler, Kom­mis­sar und Chef des Bun­des Deutsch­er Krim­i­nal­beamter, sieht beson­ders Deutsch­land im Blick­feld der Krim­inellen. Ins­beson­dere Geld­wäsche via Bun­desre­pub­lik sei heute bere­its weit ver­bre­it­et. Das werde noch zunehmen.

Der Poli­tik wirft Fiedler in diesem Zusam­men­hang Ver­sagen vor:

Ich befasse mich seit nun­mehr zehn Jahren inten­siv mit dem The­ma und kann ihnen ver­sich­ern, dass Sie die Poli­tik­er in Bund, Län­dern und im Europäis­chen Par­la­ment an ein­er Hand abzählen kön­nen, die sich glaub­würdig um eine bessere Geld­wäschebekämp­fung bemühen. Das weiß die Organ­isierte Krim­i­nal­ität…

Sebas­t­ian Fiedler, Vor­sitzen­der des Bun­des Deutsch­er Krim­i­nal­beamter

In der ZDF-Sendung “Markus Lanz” erläuterte Fiedler aus­führlich, warum er Deutsch­land als “Paradies für Geld­wäsch­er” beze­ich­net. Ein­er­seits sei die Bun­desre­pub­lik immer noch ein Land des Bargeldes, in dem weite Teiöle der Bevölkerung die Zahlung mit Plas­tikkarte ablehne — Bargeld sei den Deutschen “genau­so heilig wie erlaubtes Rasen auf der Auto­bahn.” So könne kof­fer­weise Geld in Umlauf gebracht wer­den.

Außer­dem: “Die zen­trale Anti-Geld­wäscheein­heit beim deutschen Zoll funk­tion­iert seit drei Jahren nicht richtig.” Nur zehn Prozent der ille­galen Geld­flüsse wür­den ent­deckt.

Rober­to Scarpina­to, der Gen­er­al­staat­san­walt im Anti-Mafia-Pool von Paler­mo, hat laut Fiedler “nicht von unge­fähr ein­mal gesagt, dass er sein Geld in Deutsch­land waschen würde, wenn er Mafioso wäre.” Im Übri­gen stün­den wir “vor einem noch ungeah­n­ten Dro­gen­prob­lem: in den Nieder­lan­den sehen wir wahre Brut­stät­ten der organ­isierten Rauschgiftkrim­i­nal­ität”. Die Ver­trieb­swege für Kokain, Crys­tal Meth und Hero­in gin­gen bevorzugt aus den Nieder­lan­den nach Deutsch­land. Und von dort flösse das Geld kof­fer­weise wieder retour.

Wann kommt eine EU-Bundespolizei?

Nun wäre es nahe­liegend, der­lei gren­züber­schre­i­t­ende Machen­schaften zen­tral auf europäis­ch­er Ebene zu ver­fol­gen. Doch fast 22 Jahre nach der Grün­dung darf Europol die 27 nationalen Polizeien der EU-Mit­glied­slän­der im Wesentlichen immer noch nur koor­dinieren. Selb­ständig und gren­züber­schre­i­t­end auf Ver­brecher­jagd zu gehen, das darf Europol nicht.

Die Koop­er­a­tion der 27 nationalen Polizeien stockt selb­st bei schw­er­sten Straftat­en wie Ter­ror­is­mus. Ins­beson­dere der Infor­ma­tion­saus­tausch ist prob­lema­tisch. Über eine eigene Ver­brecher­datei ver­fügt Europol nicht. Und die IT-Sys­teme der Län­der­polizeien sind so unter­schiedlich, dass ein Zugriff aus Brüs­sel nur bei kom­plex­em Aufwand möglich wäre — wenn man ihn denn wirk­lich wollte.

Vor diesem Hin­ter­grund klang es ein biss­chen wie ein Hil­fer­uf, als Europol-Chefin Cather­ine De Bolle kür­zlich stöh­nte:

Die Coro­n­akrise zeigt erneut, dass Aus­tausch von Erken­nt­nis­sen über Krim­i­nal­ität die Grund­lage für den Kampf der Strafver­fol­ger ist.

Die Lei­t­erin des EU-Polizeiamtes spricht verk­lausuliert ein Ver­säum­nis an, das zu den Webfehlern der Europäis­chen Union gehört. Der Staaten­ver­bund hat keine eigene Polizeiein­heit, die den gren­zen­losen Raum auf eigene Ini­tia­tive durch­fah­n­den kön­nte. Europols etwa 100 Krim­i­nal­an­a­lytik­er sind im Welt­maßstab höch­stqual­i­fiziert. Doch die Lor­beeren für Erfolge bei der Auswer­tung ihrer Lage­bilder ern­ten in der Regel nationale Strafver­fol­gungs­be­hör­den.

Europa in der Ver­brechens­bekämp­fung beweglich­er zu machen gelänge wohl nur mit der Aufw­er­tung Europols. Aus der Koor­dinierungs­be­hörde müsste eine echte EU-Bun­de­spolizei wer­den, ähn­lich dem FBI in den USA, das trotz weitre­ichen­der föderaler Befug­nisse der Bun­desstaat­en bes­timmte Ermit­tlun­gen an sich ziehen kann.


Europol soll zu ein­er EU-Bun­de­spolizei aus­ge­baut und ein EU-Nachrich­t­en­di­enst gegrün­det wer­den, welche bei­de dem EU-Par­la­ment gegenüber rechen­schaft­spflichtig sind.

FDP-Wahl­pro­gramm