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Darum geht’s: Um einen Krieg führen zu kön­nen brauchen Armeen passende Auf­marschzo­nen. Daran man­gelt es der NATO in Europa. Angesichts zunehmenden Bedro­hung aus dem Osten ver­sucht das west­liche Vertei­di­gungs­bünd­nis, neue Wege quer durch den Kon­ti­nent zu schaf­fen. Auf ihnen sollen Mate­r­i­al und Per­son­al rasch an die Front trans­portiert wer­den.

Von Wolf Achim Wie­gand

Brüs­sel (waw) — Stell dir vor, es ist Krieg und kein Panz­er kommt an. Das absurd klin­gende Szenario ist in Europa real­is­tis­ch­er, als die meis­ten wis­sen. Fast 80 Jahre nach dem Zweit­en Weltkrieg bilden die nationalen Gren­zen trotz EU und hochge­zo­gen­er Schlag­bäume immer noch Hür­den. Ob Tankstellen, Brück­en­höhen oder Eigen­tums- und Ver­fü­gungsrechte auf Feld­we­gen, Äck­ern und Wäldern — die Stre­itkräfte europäis­ch­er und nor­damerikanis­ch­er NATO-Stre­itkräfte wür­den beim Durch­marsch steck­en­bleiben und scheit­ern.

Schuld daran sind nation­al unter­schiedliche Nor­men, nicht aufeinan­der abges­timmte Tech­nikvorschriften und bürokratis­che Spezialge­set­ze. Es gibt zwar in der EU den ausweis­los bereis­baren Schen­gen­raum, Freizügigkeit bei der Wahl von Wohnort und Arbeit­splatz sowie in weit­en Teilen eine gemein­same Währung. Aber nicht alles ist angeglichen.

So wird der Euro-Steck­er zwar in den meis­ten europäis­chen Län­dern ver­wen­det, aber nicht in Großbri­tan­nien, Teilen Frankre­ich und auch nicht beim Mil­itär der NATO-Part­ner USA und Kana­da. Auch die Tanksys­teme und somit Treib­stoff­s­tutzen oder Strom­steck­er sind unter­schiedlich. Denn der Nor­men sind viele: In Deutsch­land gibt es Vorschriften wie DIN und VDE, in Europa herrschen CEN, CENELEC oder ETSI und inter­na­tionale ken­nt man ISO und IEC.

Tun­nel sind oft­mals nicht für die Durch­fahrt von Panz­ern aus­gelegt, Brück­en ver­fü­gen nicht über die nötige Tragkraft, berichtet der Deutsche Bun­deswehrver­band. Allein in Deutsch­land habe der Bund 4.000 Brück­en als kri­tisch iden­ti­fiziert. Darunter seien auch die an den See­hafen­stan­dorten und ent­lang des Nord-Ost­see-Kanals.

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Achtung, Achtung — für Militärs gesperrt

Selb­st Mil­itärs ken­nen sich angesichts des Nor­men­wirrwarrs nicht auf Anhieb aus — keine neue Erken­nt­nis, wie der ehe­ma­lige Befehlshaber der US-Stre­itkräfte in Europa, Ben Hodges, kür­zlich auf einem Bun­deswehr-Sym­po­sium kri­tisierte. Er habe schon im Jahr 2018 einen Aus­bau der deutschen Infra­struk­tur angemah­nt, um auf Auto­bah­nen unter Brück­en sowie mit Bah­n­gleisen schnell größere Men­gen schw­er­er Waf­fen­sys­teme trans­portieren zu kön­nen.

Es geht um Kolosse: Panz­er wiegen mehr als 60 Ton­nen. Sie kön­nen “zu Fuß” keine weit­en Wege zurück­le­gen, da nor­male Brück­en nicht auf das Gewicht aus­gelegt sind und viele Straßen schw­er beschädigt wer­den kön­nten. Das heißt: Beim Bau zivil­er Infra­struk­tur ist das Mil­itärische nicht mitgedacht wor­den.

Und bis heute, so ist zu hören, gibt es nicht genug Züge für den Mil­itär­trans­port:

„Heute gibt es Kapazitäten für den Transport von eineinhalb Panzerbrigaden, glaube ich. Insgesamt. Das ist alles. Und alle unsere Pläne erfordern es, acht, neun oder zehn Panzerbrigaden gleichzeitig in Europa zu bewegen.“

Ben Hodges

“Früher gab es sog­ar Eisen­bahnkom­panien, heute muss die Bun­deswehr fast bet­teln und viel Geld zahlen, wenn sie Panz­er per Schiene trans­portieren will,” berichtet die Süd­deutsche Zeitung. Dabei geht es nicht um einzelne Wag­gons, die an Güterzüge ange­hängt wer­den, son­dern um ganze Züge.

Hodges sagt dazu, der Man­gel sei aber nicht Fehler der Deutschen Bahn, son­dern ein Fehler der Regierung. Um einen Krieg zu ver­hin­dern, müsse man demon­stri­eren, dass man bere­it für diesen sei. Er ermuntere Deutsch­land, auf dem weit­eren Weg Risiken und Fehler in Kauf zu nehmen. Dazu gehört übri­gens auch die Umkehrung der „Vor­fahrt-Regeln“: Mil­itär­trans­porte haben gegenüber zivilem Per­so­n­en­verkehr die Pri­or­ität.

Dass man für bewaffnete Auseinan­der­set­zun­gen bre­ite und bequeme Trassen braucht, das ist keine Erken­nt­nis der Neuzeit. Schon der Heer­führer Han­ni­bal wusste das, als er während des Zweit­en Punis­chen Krieges (218 v. Chr. bis 201 v. Chr.) mit wahrschein­lich mehr als 50.000 Sol­dat­en, 9.000 Reit­ern und 37 Kriegse­le­fan­ten über die Alpen zog.

Wo das genau gewe­sen ist, weiß die Wis­senschaft nicht genau. Aber klar ist, dass Han­ni­bal auf dem unge­fähr 160 Kilo­me­ter lan­gen Weg in Rich­tung Turin genau über­legte, welche Streck­en und Pfade er für den Gebirgs­marsch wählte und wie er die Tal­bö­den und abschüs­si­gen Hänge bei Matsch und Schnee durch­queren musste.

Massenmanöver probt Mobilisierung

Der Nato-Logis­tikchef und deutsche Gen­er­alleut­nant Alexan­der Soll­frank fordert, die Bun­desre­pub­lik müsse eine Schlüs­sel­rolle in den Plä­nen spie­len. Sie sollte als zen­trale „Drehscheibe“ für die Ver­stärkungs- und Nach­schublin­ien der NATO in Europa aus­gewählt wer­den. Dazu gehörten sog­ar für alle Trup­pen ver­füg­bare Muni­tions­fab­riken und Kom­man­dozen­tralen bis hin zu Kraftwerken.

Das Prob­lem laut Soll­frank: In Deutsch­land wurde eine Menge an Panz­ern und Muni­tion zer­stört. Auch Depots und Lager sind ver­schwun­den:

“Einige Tan­klager befind­en sich bis heute in aktiv­er mil­itärisch­er Nutzung. Sie sind dementsprechend in gutem Zus­tand. Die über­wiegende Zahl wurde jedoch in den Jahrzehn­ten nach dem Kalten Krieg aufgegeben.”

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Um auszupro­bieren, wie Trup­pen­ver­legung klappt und was verbessert wer­den muss, hat die NATO ab Feb­ru­ar mit “Stead­fast Defend­er” (Stand­hafter Beschützer) das größte Manöver ihrer Geschichte anber­aumt. Vier Monate lang trainieren 90.0000 Sol­dat­en vor allem den Trans­port von Land- und Seestre­itkräften von Nor­dameri­ka nach Europa und dann in Rich­tung NATO-Ost­gren­ze.

“Deutsch­land kommt eine beson­dere Rolle zu, denn wir sind wegen unser­er geografisch zen­trale Lage eine Durch­marschre­gion,” sagte mir kür­zlich ein Dez­er­nat­sleit­er im NATO Haup­tquarti­er in Brüs­sel. “Wir brauchen einen -Raum’ für das Mil­itär.” Denn:

Immer noch entschei­det in Deutsch­land jedes Bun­des­land für sich über die Aufhe­bung von Trans­portver­boten etwa an Sonn- und Feierta­gen — das gilt auch für Mil­itärg­erät. Genehmi­gun­gen für Großraum- und Schw­er­trans­porte erfol­gen teils sog­ar auf kom­mu­naler Ebene. Soll­ten Stre­itkräfte mehrere Gren­zen über­queren müssen, um an das angewiesene Ziel zu gelan­gen, mul­ti­pliziert sich also der Ver­wal­tungsaufwand.

“Im – äußerst sel­te­nen – Ide­al­fall dauert der gren­züber­schre­i­t­ende Trans­port von mil­itärischen Kapaz­itäten von einem Land in ein anderes immer noch min­destens fünf Tage. Das ist zu lang.

Deutsch­er Bun­deswehrver­band (DBwV)

Gibst Du mir mal ’ne Kugel?

Einzelne NATO-Staat­en weigern sich jedoch, Trassen für Trup­pen ander­er Län­der bere­itzustellen. So die Türkei und Griechen­land, die sich wegen ter­ri­to­ri­aler Stre­it­igkeit­en nicht wohl geson­nen sind. Wed­er Ankara noch Athen sind gewil­lt, dem wiewohl ver­bün­de­ten Mil­itär des Nach­barstaates irgen­deinen Ein­blick in das eigene Ter­ri­to­ri­um zu geben. Etwas weit­sichtiger sind die Nieder­lande, Deutsch­land und Polen: Sie haben jet­zt erst­mals einen gemein­samen “move­ment cor­ri­dor” ein­gerichtet.

Es geht auch um “Inter­op­er­abil­ität”, heißt es bei der NATO. Das ist die Fähigkeit unter­schiedlich­er Sys­teme, möglichst naht­los zusam­men­zuar­beit­en. Und das ist bei den NATO-Armeen noch längst nicht gegeben, nicht nur bei der Infra­struk­tur. So passe franzö­sis­che Muni­tion nicht zu deutsch­er Muni­tion — ein Trup­pen­teil könne sich also nicht bei ver­bün­de­ten Sol­dat­en bedi­enen, wenn er blank ist — er dürfte es laut Vorschriften auch gar nicht.

Dass die Vere­in­heitlichung 75 Jahre nach NATO-Grün­dung nicht schon längst passiert ist, liegt wohl beson­ders an nationalen Rüs­tungsin­ter­essen. Let­ztlich wacht jede Regierung in den 31 europäis­chen und nor­damerikanis­chen Mit­glied­staat­en des Vertei­di­gungs­bünd­niss­es sehr genau darauf, möglichst viel von dem lukra­tiv­en Indus­triekuchen abzubekom­men.

Forderun­gen und Ver­suche, eine gemein­same Rüs­tungsin­dus­trie oder gar eine ein­heitlich geformte Europäis­che Armee aufzubauen, verkom­men zu Lip­pen­beken­nt­nis­sen. Selb­stver­ständlich klin­gende Abstim­mungen, wie die gemein­same Beschaf­fung von Treib­stoff, iden­tisch designte Mil­itärzelte oder der koor­dinierte Kauf von Nutzungszeit­en beim wind- und wet­ter­festen Satel­li­ten­di­enst Star­link, mit dem die Vor­bere­itung von Angrif­f­en in Echtzeit ver­fol­gt wer­den kann, sind noch mil­itärische Träum­chen.

“Jed­er kann anfan­gen. Tun Sie es ein­fach. Und warten Sie nicht. Denn am Ende haben wir keine Zeit zu ver­lieren.

Nato-Gen­er­alleut­nant Alexan­der Soll­frank

Schneller sein als der Kreml

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Es ist kein Kriegs­geschrei, wenn höch­ste europäis­che Poli­tik- und Mil­itärkreise appel­lieren, fordern und war­nen. Nur noch drei Jahre Zeit hät­ten wir, um Putins Aufrüs­tung und seinen Eroberungs­fan­tasien eine wirkungsvolle Defen­sive ent­ge­gen­zuset­zen, heißt es in let­zter Zeit ver­mehrt und drän­gen­der. Dabei stell­ten Bes­tim­mungen, die den Aus­tausch und Trans­port von mil­itärischen Mit­teln im Bünd­nis­ge­bi­et ein­schränk­ten, ein ern­stes Hin­der­nis dar. Wenn ein Kon­flikt los­bräche, müssten erst Genehmi­gungsver­fahren in gang geset­zt wer­den — ein unhalt­bar­er Zus­tand.

Vielle­icht kann das Pro­jekt PESCO (Per­ma­nent Struc­tured Coop­er­a­tion) eine wichtige Rolle für “mil­i­tary mobil­i­ty” spie­len. Es dient dazu, Ver­fahren zu vere­in­fachen, zu stan­dar­d­isieren und zu beschle­u­ni­gen sowie die (Verkehrs-)Infrastruktur zu mod­ernisieren. Alle EU-Mit­glied­staat­en sind an PESCO beteiligt. “Die mil­itärische Mobil­ität kann somit zu einem echt­en Flag­gschiff der Zusam­me­nar­beit zwis­chen EU und NATO wer­den,” hofft David McAl­lis­ter (CDU), Mit­glied des Europäis­chen Par­la­ments und dort Vor­sitzen­der des Auswär­ti­gen Auss­chuss­es. Er set­zt u. a. auf geplante Dig­i­tal­isierung der Bürokratie. 

Hof­fentlich kom­men die Ver­ant­wortlichen und die Gen­eräle zu Potte, bevor Putin mobil­isiert…

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