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Von Wolf Achim Wie­gand

Brüs­sel / Den Haag (waw) — Der schei­dende Pre­mier­min­is­ter der Nieder­lande, Mark Rutte, hat so gut wie alle Chan­cen, Nach­fol­ger des Nor­wegers Jens Stoltenberg als NATO-Gen­er­alsekretär zu wer­den. Das wollen gut unter­richtete Kreise in Brüs­sel erfahren haben. Den Infor­ma­tio­nen zufolge haben sich bere­its zwanzig Regierun­gen der ins­ge­samt 31 Mit­glied­slän­der für den Lib­er­alkon­ser­v­a­tiv­en entsch­ieden, darunter die dominieren­den USA mit den Schw­ergewicht­en Großbri­tan­nien, Frankre­ich und Deutsch­land.

Rutte ist in der gesamten Allianz hoch ange­se­hen, heißt es. Er ver­füge über ern­stzunehmende Vertei­di­gungs- und Sicher­heit­squal­i­fika­tio­nen. Seine Exper­tise könne dafür sor­gen, dass die Allianz stark und bere­it zur Vertei­di­gung und Abschreck­ung bleibt. Doch die erre­ichte Zwei­drit­telmehrheit reicht für Rutte nicht aus, da die NATO die Führungs­frage nur im Kon­sens entschei­det.

“Das Vere­inigte Kön­i­gre­ich wün­scht einen Kan­di­dat­en, der die NATO stark hal­ten wird”

Rishi Sunak, Pre­mier­min­is­ter von Großbri­tan­nien

Zu den Zöger­ern sollen das dauerskep­tis­che Ungarn und die nicht min­der fordernde Türkei gehören. Die Regierung in Budapest scheint Rutte nicht wohl geson­nen zu sein, weil er EU-Sank­tio­nen gegen das Auss­cheren von Regierungschef Vik­tor Orbán aus dem EU-Wertekanon befür­wortet hat.

In Ankara möchte Präsi­dent Recep Tayyip Erdoğan sich­er­stellen, dass Mark Rutte im ter­ri­to­ri­alen Dauer­stre­it um Gren­zen mit den NATO-Part­nern Zypern und Griechen­land nicht ein­seit­ig agiert. Wie Rutte darauf reagiert und ob schon wieder Block­aden der bei­den Län­der bevorste­hen ist nicht bekan­nt.

Con­struct­ing a wood­en shel­ter in the Eston­ian for­est.

Frauen vorerst nicht an die Front

Im Baltikum hat man eben­falls Erwartun­gen an den Kan­di­dat­en Rutte, wenn auch selb­st­lose. Est­land, Let­t­land und Litauen wün­schen sich vom kün­fti­gen Gen­er­alsekretär klare Unter­stützung für die angestrebte NATO-Mit­glied­schaft der von Rus­s­land über­fal­l­enen Ukraine. Das Bünd­nis gilt in den drei Ex-Sow­je­tre­pub­liken als Lebensver­sicherung gegen aggres­sive Ansprüche des rus­sis­chen Präsi­den­ten Wladimir Putin.

Gerne hät­ten die drei Bal­tenna­tio­nen die est­nis­che Min­is­ter­präsi­dentin Kaja Kallas als erste Frau an der Bünd­nis­spitze gese­hen. Das schien eine Zeit­lang möglich zu sein. Doch die lib­erale Poli­tik­erin scheint auf dem Sprung als kün­ftige EU-Außen­beauf­tragte zu sein. Außer­dem sollen sie manche NATO-Mit­glieder als zu kämpferisch empfind­en. Das gilt auch für einen zunächst kol­portierten Namen aus dem Baltikum: Let­t­lands Ex-Pre­mier und heutiger Außen­min­is­ter Krišjā­nis Kar­iņš.

Die zweite als Kan­di­datin ins Spiel gebrachte Frau, Däne­marks sozialdemokratis­che Regierungschefin Mette Fred­erik­sen, ist offen­bar wie Kallas nicht ins Ren­nen gegan­gen. Sie kön­nte nach der Europawahl am 9. Juni Präsi­dentin des Europäis­chen Rates und damit die Repräsen­tan­tin der EU-Regierun­gen wer­den.

„Rutte kann eine Botschaft überbringen, die knallhart ist, aber mit einem samtenen Lächeln“
Ton Elias, ehe­ma­liger nieder­ländis­ch­er Abge­ord­neter von Ruttes Partei VVD

Damit ist Rutte momen­tan der einzige Kan­di­dat als Nach­fol­ger des Nor­wegers Jens Stoltenberg. Der wollte nach zehn Jahren Amt­szeit eigentlich längst abtreten. Seinen Plan, den stress­freieren Job als Präsi­dent der nor­wegis­chen Zen­tral­bank Norges Bank anzutreten, durchkreuzte der rus­sis­che Ein­marsch in die Ukraine 2022. Die NATO brauchte Kon­ti­nu­ität.

NATO Sec­re­tary Gen­er­al Jens Stoltenberg

Radfahren nützt beim Aufstieg…

Stoltenberg leit­ete die Mil­itäral­lianz trotz Aus­laufens sein­er Amt­szeit durch schwieriges Fahrwass­er. In das war sie schon während der Regierung von Don­ald Trump ger­at­en. Der war als US-Präsi­dent das Mit­glied mit dem bei Weit­em größten Beitrag. Das ließ der pop­ulis­tis­che Repub­likan­er die anderen Part­ner und auch Stoltenberg, der bisweilen den Erfül­lungs­ge­hil­fen spie­len musste, deut­lich spüren.

Mark Rutte ist mit 14 Jahren der am läng­sten amtierende Min­is­ter­präsi­dent in der Geschichte der Nieder­lande. Sollte er — voraus­sichtlich im Som­mer — von den NATO-Staats- und Regierungschefs ins Haup­tquarti­er nach Brüs­sel berufen wer­den, stünde der Nieder­län­der vor den wohl schwierig­sten Her­aus­forderun­gen seit Grün­dung des Nor­dat­lantik­pak­tes vor genau 75 Jahren. Er müsste den sich zus­pitzen­den Kon­flikt mit Rus­s­land man­a­gen — und das bei wom­öglich nach­lassender Unter­stützung der USA für Europa, falls Trump erneut ins Weiße Haus einzieht. Das kön­nte ihm das Kreieren eines europäis­chen Pfeil­ers der NATO abver­lan­gen.

Eines ist sich­er: Wie hun­dert­tausende Land­sleute mit dem Fahrrad zur Arbeit zu radeln, wie es der 57jährige Kopf der nieder­ländis­chen Partei “Volkspar­tij voor Vri­jheid en Democ­ra­tie” (VVD) häu­fig tut, wird im Hochsicher­heit­sjob als Vorge­set­zter von fast sechs Mil­lio­nen Sol­datin­nen und Sol­dat­en sowie Reserveein­heit­en und Paramil­itärs nicht mehr möglich sein.