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⇒ Inhalt dieses Blogs:Nach der Ungarn-Wahl ist ein glaub­würdi­ger, entschlossen­er und bürg­er­na­her Neustart der Europäis­chen Union (EU) wichtiger denn je…”

Von Wolf Achim Wie­gand

Hamburg/Brüssel (waw) ‑Viele EU-Poli­tik­er star­ren auf die Europawahl im Mai 2019. Und graben sich jet­zt schon in Wahlkampf­furchen ein. Bess­er wäre es aber, trotz des europaweit­en Abstim­mung­ster­mins nicht gelähmt zu sein, son­dern den Blick auf den heuti­gen Zus­tand der Europäis­chen Union zu richt­en. Denn die bietet derzeit ein jam­mer­volles Bild. Das muss sich ändern. Rasch.

Nicht nur erst seit der Ungarn-Wahl vom ver­gan­genen Woch­enende ist klar: Europa steckt in ein­er fet­ten Glaub­würdigkeit­skrise. Wie son­st kann es sein, dass aus­gerech­net in jen­em Land, in dem 1989 der Eis­erne Vorhang zuerst fiel, nicht die Kräfte der Frei­heit frohlock­en, son­dern die Kräfte des Autori­taris­mus. Wie zuvor schon in Ital­ien.

Lux­em­burgs Außen­min­is­ter Jean Assel­born sprach nach der Budapester Wahlnacht von einem “Werte­tu­mor”, der Ungarn befall­en habe. Das Bild ist krass, aber es ist kor­rekt. Krebs kann man — eventuell — heilen. Auch sich aus­bre­i­t­en­der Nation­al­is­mus ist — hof­fentlich — mit ein­er poli­tis­chen Ther­a­pie bekämpf­bar.

Europa der zwei Tem­pi?

Europa braucht jet­zt eine Rosskur, einen Neustart. Nichts spricht dage­gen, dass sich die Län­der, die anders als Ungarn (und Polen und Ital­ien usw.) noch bei lib­eralem Ver­stande sind, eine Reform­be­we­gung der Willi­gen bilden. Das würde sich nicht GEGEN die Unwilli­gen richt­en, son­dern ließe ihnen Zeit, sich zu sortieren und zu regener­ieren.

Ob man das Neue ein “Europa der zwei Geschwindigkeit­en”, der “Konzen­trischen Kreise” oder der “Ver­stärk­ten Zusam­me­nar­beit” nen­nt, ist egal. Haupt­sache, der Motor der EU springt wieder an.

Ein Europa der zwei Ebe­nen ist sowieso längst Real­ität: nicht alle EU-Mit­glieder führen den Euro als Währung, nicht alle sind am bin­nen­gren­zfreien Schen­gen-Raum beteiligt und nicht alle nehmen an ver­stärk­ter Vertei­di­gungszusam­me­nar­beit teil.

Über­raschend hat der 92jährige ehe­ma­lige franzö­sis­che Staat­spräsi­dent und EU-Grün­der­vater Valéry Gis­card d’Estaing einen radikalen Vorschlag gemacht: eine Europäis­che Union aus nur noch aus zwölf Staat­en. “Ich spreche nicht über ein Europa unter­schiedlich­er Geschwindigkeit­en, son­dern über ein starkes und föderales Europa mit den Grün­der­na­tio­nen (Deutsch­land, Frankre­ich, Ital­ien, Nieder­lande, Bel­gien und Lux­em­burg) plus Spanien, Por­tu­gal, Irland, Öster­re­ich, Finn­land und Polen,” führte Gis­card kür­zlich aus. Eine Idee, die ver­wun­dert, wären doch die EU-treuen Skan­di­navier und Bal­ten draußen.

Hex­en­werk wären die Schaf­fung eines “Kerneu­ropa” und eines “Außeneu­ropa” aber grnd­sät­zlich nicht. Nach gel­tenden Regeln kön­nen sich EU-Mit­glieder in Poli­tik­feldern ihrer Wahl heute schon enger abstim­men, wenn min­destens neun Staat­en mit­machen. Einzige Bedin­gung: die EU muss für alle offen bleiben und koor­dinierte Bere­iche dür­fen nicht zen­trale Zuständigkeit­en der EU berühren, etwa die in Brüs­sel­er Hand liegende Han­del­spoli­tik.

Auf Paris zuge­hen

Was jet­zt kom­men muss, ist, den Arm des franzö­sis­chen Präsi­den­ten Emmanuel Macron zu ergreifen. Son­st ver­hungert der Mann im Ely­see-Palast noch an aus­gestreck­ter Hand und die Recht­sex­tremen schieben sich vor. Aus kein­er anderen Haupt­stadt sind bis­lang so kreative Vorschläge zur Neu­grün­dung” der EU gekom­men, wie aus Paris. Es lohnt sich , die Pläne auf Gemein­samkeit­en abzuk­lopfen.

Dif­feren­zen — etwa bei Finanzen – sollte man offen und fre­und­schaftlich ansprechen. Und evetuell erst­mal auss­paren. Aber: Lasst uns anfan­gen!

Vor­dringliche und mach­bare Pro­jek­te sind: ein besser­er Schutz der EU-Außen­gren­zen durch eine echte Gren­ztruppe mit eige­nen Beamten und eigen­em Hand­lungsspiel­raum. Oder eine noch engere Zusam­me­nar­beit in der Vertei­di­gungspoli­tik, um gegen zunehmende Bedro­hun­gen nicht nur aus Rus­s­land gewapp­net zu sein. Oder ein gemein­samer Polizei- und Jus­ti­zap­pa­rat, bei dem Staat­san­wälte von sich aus europaweit ermit­teln und ankla­gen dür­fen und EU-Polizis­ten über nationale Gren­zen hin­weg auss­chwär­men dür­fen. Oder eine effek­tiv zen­tral­isierte Ter­ror­bekämp­fung, die Ein­führung ein­er EU-weit­en Energiepoli­tik und gemein­same Asyl- und Ein­wan­derungsregelun­gen sowie die Schaf­fung des dig­i­tal­en Bin­nen­mark­tes.

Doch wir dür­fen nicht vor einem Neustart ins­beson­dere der Insti­tu­tio­nen halt­machen. Hier ist viel zu tun. Das Europa­parla­ment als einzige direkt gewählte EU-Insti­tu­tion muss endlich die Rechte eines echt­en Par­la­mentes bekom­men: eigene Gestal­tungskom­pe­tenz für Geset­ze, das einzige Recht zur Wahl der EU-Kom­mis­sion und die volle Zuständigkeit zur Genehmi­gung eines EU-Haushalts. Der Europäis­che Rat darf sich nicht mehr durch über­holte Ein­stim­migkeit­sregeln selb­st ins Knie schießen und kön­nte eine zweite “Kam­mer der Län­der” (oder Regio­nen) wer­den.

Die EU muss sich bück­en

Ganz wichtig: die neuges­tartete Europäis­che Union muss eine EU der Bürg­er sein, der Neustart darf nicht von oben herab verord­net wer­den. Deshalb sollte der Aus­gestal­tung des weit­eren europäis­chen Eini­gung­sprozess­es die Ein­beziehung der Zivilge­sellschaft vorgeschal­tet wer­den. Der Vorschlag Macrons, zeit­nah und europaweit soge­nan­nte Bürg­er­foren einzu­berufen, auf denen die Zukun­ft der Union besprochen und Ideen gesam­melt wer­den, geht in die richtige Rich­tung.

Erst nach dieser Bürg­erkon­sul­ta­tion sollte die Ein­beru­fung ein­er Art par­la­men­tarisch­er Ver­samm­lung aus Mit­gliedern des Europäis­chen Par­la­ments und der nationalen Volksvertre­tun­gen ste­hen. Ihre Auf­gabe wäre es, den Men­schen in der EU unter Berück­sich­ti­gung der Ergeb­nisse aus den Bürg­er­foren einen Vorschlag zur kün­fti­gen kon­sti­tu­tionellen Aus­gestal­tung der Union vorzule­gen. Dieser Prozess entwick­elt sich nicht über Nacht, son­dern braucht eine Strecke Weges, an dessen Ende die EU gen­er­a­tions­fest gestal­tet sein muss.

Rote Lin­ien? Nein Danke…

Die Europawahl am 26. Mai 2019 wird die entschei­dend­ste Abstim­mung in der EU seit Unterze­ich­nung des Ver­trages über die Europäis­che Union (EUV) am 7. Feb­ru­ar 1992 im nieder­ländis­chen Maas­tricht sein. Lasst uns nicht zulassen, dass Pop­ulis­ten und fün­fte Kolon­nen Putins den “schlecht­en Ruf” der EU pfle­gen und aus­nutzen, indem sie tat­säch­liche oder ver­meintliche Neg­a­ti­va der EU her­aus­pick­en und ver­all­ge­mein­ernd anprangern.

Die EU bietet seit Jahrzehn­ten Frieden, Wohl­stand und Sicher­heit. Es muss und es kann uns gelin­gen, dieses weltweit ein­ma­lige Eini­gungswerk zu erhal­ten und weit­erzuen­twick­eln. Ein trans­par­ent gestal­teter entschlossen­er Neustart der Europäis­chen Union kön­nte neue Begeis­terung für das Pro­jekt Europa aus­lösen. Lasst uns daher nach Macron mit dem Pos­i­tiv­mot­to han­deln: “Ich sehe keine roten Lin­ien, son­dern nur Hor­i­zonte.