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Von Wolf Achim Wie­gand

Ham­burg (waw) — Immer wieder wird in das Märchen aufgetis­cht, “die EU” habe in der “ver­sagt” und Län­dern wie Ital­ien und Spanien trotz höch­ster Not die Hil­fe “ver­weigert”.

Hin­ter solchen sach­lich vol­lkom­men falschen Behaup­tun­gen — die durch fortwährende Wieder­hol­ung für Manche immer glaub­würdi­ger erscheinen — steck­en Kräfte, die der Europäis­chen Union schon immer am Zeug flick­en woll­ten. Sie schüren antieu­ropäis­che Gefüh­le mit dem Ziel, das Ver­trauen der EU-Bürg­erin­nen und ‑Bürg­er in “die da oben in Brüs­sel” zu unter­graben. Es wird wissentlich der falsche Esel gebasht, wohl um eigenes Ver­sagen in der Coro­na­tragödie zu übertünchen — so, wie bei anderen Gele­gen­heit­en auch, etwa in der Flüchtlings­frage. Das nen­nt man Desin­for­ma­tion.

Da Fak­e­News nur mit Fak­ten beizukom­men ist, lege ich jet­zt dar, wie es wirk­lich ist.

Zunächst: “die EU” ist nun mal das, was in den Römis­chen Verträ­gen (1957) und im Ver­trag von Maas­tricht (1992) fest­gelegt ist. Diese “Grundge­set­ze” leg­en fest, was die Union darf und was nicht. Jedes EU-Mit­glied­s­land muss das beim Ein­tritt unter­schreiben. Auch Ital­ien und Spanien haben es getan. Den­noch erweck­en ins­beson­dere Recht­spop­ulis­ten (Lega Nord, Vox, AfD usw.) den Ein­druck, als sei Ihrem Land der Staaten­ver­bund qua­si übergestülpt wor­den. Das adressiert niedere Instink­te:

Wir sehen uns nach Ruhe im Sturm, kein Wun­der, dass uns Märch­en­erzäh­ler und Pop­ulis­ten ver­führen

Matthew Syed in der Times, Lon­don

Jedoch: die EU-Mit­glied­sregierun­gen haben mit ihrer Unter­schrift oder — je nach nationaler Geset­zge­bung — durch Par­la­ments­beschluss bzw. Volksab­stim­mung besiegelt, dass Brüs­sel eben aus­drück­lich KEINE Zuständigkeit in der Gesund­heits- und Seuchen­poli­tik hat. Der Vor­wurf, die Kom­mis­sion han­dle nicht, fällt also auf jedes einzelne EU-Land zurück, auch auf Ital­ien und Spanien.

Fakten

Fakt zur ange­blichen Hil­fsver­weigerung der EU auf verzweifelte Bit­ten aus Ital­ien und Spanien ist:

Im EU-Not­fall­reak­tion­szen­trum

Brüs­sel darf Anfra­gen nach Gesund­heits­ma­te­r­i­al im Not­fall­reak­tion­szen­trum der Kom­mis­sion (Emer­gency Response Coor­di­na­tion Cen­tre) lediglich bün­deln und an die Mit­glied­slän­der weit­er­leit­en. Denn fest­gelegt ist: beim Aus­bruch ein­er gesam­teu­ropäis­chen Gesund­heits­bedro­hung — wie bei -19 — “soll­ten” sich die Regierun­gen untere­inan­der “berat­en” und mit der Kom­mis­sion “koor­dinieren”. Das bedeutet:

  • Die Entschei­dun­gen über Ja oder Nein zu den Appellen aus Rom und Madrid fall­en auss­chließlich in den Haupt­städten zwis­chen Por­tu­gal und Polen — und nicht in Brüs­sel.
  • Außer­dem: die EU-Kom­mis­sion hat die Hil­fer­ufe keineswegs ignori­ert. Das Gegen­teil ist richtig: das S.O.S. am 26. Feb­ru­ar aus Ital­ien und am 16, März aus Spanien vor allem nach Schutz­masken ist sofort an die Mit­glied­sregierun­gen weit­ergeleit­et wor­den.
  • Mehr noch: das Katas­tro­phen­hil­fe-Team um Ursu­la von der Leyen hat kor­rekt erkan­nt, dass in Europa ein Man­gel beste­ht, und hat gehan­delt, indem es vorschlug, ein zen­trales EU-Vor­rat­slager aufzubauen.

Wenn die Dinge knapp wer­den, ver­trauen die Men­schen immer noch dem Schutz ihrer alten Gren­zen und denken, dass wir in erster Lin­ie einem Nation­al­staat ange­hören

David Quinn, The Sun­day Times, Lon­don

Warum gibt es denn jet­zt trotz des erkan­nten Webfehlers in der EU-Reg­ulierung immer noch keine gesam­teu­ropäis­che Verteil­stelle für Mund­masken, Atemgeräte und anderes medi­zinis­ches Mate­r­i­al?

  1. Weil Ideen aus Brüs­sel nur funk­tion­ieren, wenn die EU-Regierun­gen mitziehen.
  2. Weil so ein Lager län­gere Zeit braucht, um baulich, tech­nisch und ver­wal­tungsmäßig hochge­zo­gen zu wer­den.
  3. Weil der Welt­markt für Coro­n­abekämp­fungsmit­tel leerge­fegt ist.

Das Alles mag frus­tri­erend sein. Aber Poli­tik kann bei uns nun mal nur inner­halb ihres rechtsstaatlich geset­zten Rah­mens agieren. Wenn man in der EU etwas ändern will, muss man kon­struk­tive Vorschläge in den jet­zt ohne­hin vorge­se­henen EU-Reform­prozess ein­brin­gen. Neben ein­er gesam­teu­ropäis­chen Verteil­stelle für Not­fälle ist beispiel­sweise die Auf­stel­lung eines generellen EU-weit­en Krisen­plans erforder­lich.

Geopolitische Komponente

Der Kampf um europäis­che Konzepte gegen das Coro­n­avirus hat im Übri­gen auch eine welt­poli­tis­che Bedeu­tung. Aus­gerech­net Chi­na, wo erste Hin­weise auf die bevorste­hende Krise zunächst bru­tal unter­drückt wor­den sind, spielt sich derzeit ver­lässlichen Part­ner Europas auf. Dazu nutzt es aller­lei Mit­tel aus der Pro­pa­gan­dak­iste und hat Ital­ien eine große Menge Atem­masken “geschenkt” sowie Helfer entsandt.

So ver­sucht die KP Chi­na ihr unfreies Gesellschaftsmod­ell salon­fähig zu machen und stößt lei­der dur­chaus auf Wider­hall — Flugzeugladun­gen voller Medi­z­in­aus­rüs­tung nach Tschechien kom­men­tierte Außen­min­is­ter Jan Hamacek mit den Worten, Chi­na sei “das einzige Land, das fähig sei, Europa mit solchen Men­gen zu ver­sor­gen”.

Auch Rus­s­land ist kein Unschuld­slamm. Putin schick­te 14 Flugzeuge mit 100 Mil­itärärzten und Desin­fek­tion­s­geräten nach Rom — Hin­tergedanken inklu­sive. Doch inzwis­chen kom­men Zweifel am Nutzen der Kreml-Hil­fe auf. 80 Prozent der Hil­f­s­güter seien für Ital­ien nicht zu gebrauchen und in den ital­ienis­chen Stre­itkräften gibt es Sor­gen über die Bewe­gungs­frei­heit der rus­sis­chen Mil­itärs, die Pre­mier Con­te ihnen ein­räumte.

Und die USA? Der jahrzehn­te­lange Krisen­helfer Europas ist selb­st in Nöten und gibt unter Präsi­dent Don­ald Trump ein denkbar schlecht­es Bild ab, muss nun sog­ar — große Pein­lichkeit für den Laut­sprech­er im Weißen Haus — das Aus­land um Hil­fe bit­ten

“Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es (beim The­ma Coro­n­avirus) eine geopoli­tis­che Kom­po­nente gibt, die den Kampf um Ein­fluss mit­tels Geschichts­drehung und ein­er ‘Poli­tik der Großzügigkeit’ bein­hal­tet. Wir müssen Europa mit der Waffe Fak­ten vertei­di­gen, die wir den bösen Zun­gen ent­ge­gen­hal­ten.”

Josef Bor­rell, Außen­poli­tis­ch­er Beauf­tragter der EU

Die EU hat nun einen “Warn­schuss” in Rich­tung Chi­na abge­feuert. Borell äußerte sich in Brüs­sel verärg­ert darüber, dass Chi­na die aus­nutzt, um die Europäer zu spal­ten. Der Staaten­ver­bund der EU ste­he vor einem “Kampf um Ein­fluss” mit der kom­mu­nis­tis­chen Volk­sre­pub­lik.

Europa besser machen!

Eines ist klar: nach der Coro­n­akrise müssen wir Europa bess­er machen. Das wird Geduld erfordern. Der Plan, in der Amt­szeit von Ursu­la von der Leyen (bis 2024) erst­mals die Bürg­erin­nen und Bürg­er in die Ideen­find­ung für die kün­ftige Gestal­tung der EU einzubeziehen, ist vor­erst wegen des akut drän­gen­den Kampfes gegen den Tod aufgeschoben. Aber nicht aufge­hoben.

Nur ein geeintes Europa mit mehr Gemein­samkeit­en bietet eine Aus­sicht auf Wohl­stand, Sicher­heit und Woh­lerge­hen unter demokratis­chen Werten. Bleiben wir also nach dem Sieg über das Coro­n­avirus dran!

“Die EU für Ver­säum­nisse im Kampf gegen das Coro­n­avirus ver­ant­wortlich zu machen ist in etwa genau­so unglaub­würdig wie der Banane vorzuw­er­fen, sie sei kein Apfel”

Der Autor

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