Der Konflikt im Roten Meer eskaliert: Huthi-Terroristen beschießen Schiffe, die US-Navy und Verbündete bomben zurück. Nun macht sich auch die EU bereit, Kriegsschiffe zu entsenden. Ist das die Lunte zu einem weiteren Weltkonflikt?
Von Wolf Achim Wiegand
Hamburg / Aden (waw) — Der verheerende Angriff sollte am frühen Morgen erfolgen. Vor der Küste des Jemen startete ein unbemanntes Schnellboot. Sein Ziel: Die 5. US-Marineflotte, die weit draußen nach Terrorattacken aus der Luft spähte.
“Das Boot war vollgepackt mit Sprengstoff,“ erinnert sich Vizeadmiral Brad Cooper. Mehr sagt er aus Geheimhaltungsgründen nicht. Vermutlich hatten seine Leute die dicht über der Wasseroberfläche heranbrausende Gefahr erst erkannt, als sie einige Meilen vor der Endstation in die Luft flog. “Wir haben alle zugesehen, wie es explodierte,” berichtet Cooper. Nichts wurde beschädigt, niemand wurde verletzt.
Weitere Details etwa darüber, ob das nach seinen Worten “unauffällige” Sprengstoffboot sich selbst (versehentlich?) zerstörte oder ob es abgeschossen wurde, will der US-Offizier nicht offenlegen. Das legt die Vermutung nahe, dass die hochgerüstete US-Flotte dem Schachzug der Huthi-Rebellen nur um ein Haar entkommen ist.
Der Vorfall zeigt, dass die in Bahrain stationierten US-Marinesoldaten es im Roten Meer trotz des Fehlschlages mit einem Gegner zu tun haben, der hochgefährlich ist.
Huthi: Bande in Armeegröße
Die Huthi sind keine triviale Terrortrupppe. Ihr Slogan lautet: “Tod Amerika, Tod Israel, Fluch gegen die Juden und Sieg für den Islam.” Sie sind eine trickreiche und hochgerüstete Streitkraft. Die schätzungsweise 100.000 Kämpfer sind seit Jahren im Kampf mit der saudi-arabischen Armee gestählt worden. Längst kontrolliert das Huthi-Spinnennetz große Teil des Jemen einschließlich der Hauptstadt Sanaa. Jetzt sind sie sogar in der Lage, die internationale Handelsschifffahrt zwischen Europa und Asien wirkungsvoll zu treffen.
Die Gefahr im Roten Meer, das die Zufahrt zum Suezkanal und zu den weltweit wichtigsten Öl- und Gasförderquellen darstellt, ist enorm. Die Huthi drohen alle Schiffe abzuschießen oder zu entführen, die “in Verbindung” mit Israel stehen, das gerade in Gaza die verbündeten palästinensischen Hamas-Terroristen bekämpft. Das ist eine weit gefasste Vorgabe, weshalb alle großen Schifffahrtslinien die kürzeste Route aufgegeben und die deutliche längere Strecke rund um Afrika wählen.
Es geht um viel
Der Rattenschwanz der Folgen ist groß: Zwischen zehn und 15 Prozent des Welthandels laufen durch die Region. Der Containerverkehr durch den angrenzenden Suezkanal hat sich durch die Quasi-Blockade um 90 % reduziert. Zahllose Waren verteuern sich bis hin zum Verbraucher, weil die Frachtraten explodieren. Besonders kostspielig ist die Strecke zwischen Shanghai und den EU-Häfen Rotterdam und Genua, auf der der Wert eines 40-Fuß-Containers innerhalb kürzester Zeit um bis zu 115 % gestiegen ist.
Dass die Huthi keine Maulhelden sind, das haben sie schon bewiesen. Ihre Kommandeure schickten dutzende Raketen und Drohnen übers Meer. Auch das 370 Meter lange Containerschiff “Al Jasrah” der deutschen Großreederei Hapag-Lloyd wurde auf dem Weg nach Singapur getroffen; es brach ein Brand aus, der aber ohne Opfer gelöscht werden konnte.
Am spektakulärsten war die Entführung des Autofrachters “Galaxy Leader” im November zum Auftakt der Terrorwelle. Dabei kamen schwerbewaffnete Männer per Helikopter an Bord. Die Besatzung wurde samt Schiff zum Hafen Al-Hudaydah gezwungen. Dort liegen Schiff und Crew immer noch (Foto unten). Angeblich gehört der unbeladene Transporter zumindest teilweise dem israelischen Reeder Abraham Ungar.
Auf in den Kampf
“Ich werde nicht zögern, weitere Maßnahmen zum Schutz unserer Bevölkerung und des freien internationalen Handelsverkehrs zu ergreifen, wenn dies erforderlich ist”.
US-Präsident Joe Biden
Die USA scheinen trotz der Brisanz für den Welthandel einige Mühe gehabt zu haben, genügend Unterstützung für ihre Sicherheitsoperation zu finden. Eine Zusammenarbeit mit Moskau und Peking, wie es vor einigen Jahren noch bei Piratenangriffen vor Somalia mögich gewesen war, ist angesichts der heutigen Rivalitäten vom Tisch.
Um den freien Seeverkehr wiederherzustellen, haben die USA, Großbritannien und weitere Verbündete wie Australien, Bahrain, Kanada und die Niederlande Mitte Januar militärisch auf scharf geschaltet. Kampfjets, Kriegsschiffe und ein U‑Boot schießen nicht nur über See herankommende Flugkörper ab, sondern sie attackieren zusätzlich gezielt dutzende Radaranlagen und Abschussbasen an Land. Der lange Arm der Fregatten reicht bis ins etwa 250 Kilometer entfernte huthi-kontrollierte Sanaa.
Erstmals hatten die Streitkräfte Anfang Januar einen heranrasenden Anti-Schiffs-Marschflugkörper per Kampfjet abgefangen. Er soll in Richtung des US-Zerstörers “Laboon” unterwegs gewesen. Ebenfalls Premiere: Die USA stellten eine Waffenlieferung aus dem Iran sicher. Zugleich ein Rückschlag: Das US-Frachtschiff “Gibraltar Eagle” wurde von einer Huthi-Rakete getroffen — die Schäden waren aber nicht nennenswert.
Erst zögerlich, nun mit dabei: EU-Militärkoalition gegen Huthi
Die Militärkoalitionäre haben es mit einem Gegner zu tun, der als Meister des Versteckspiels gilt. Das Know-how haben sich die Huthi im Kampf gegen die Saudis angeeignet. Die hatten 2015 zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten und anderen arabischen Staaten interveniert, um die inzwischen ins Exil geflohene Regierung des Jemen zu festigen.
Die Saudi-Bombardements, 150.000 Kriegstote und eine der schlimmsten humanitären Katastrophen der Neuzeit haben es nicht vermocht zu verhindern, dass die Huthi weiterhin in Massen einsatzbereite Raketen und Drohnen lagern.
Dass die Huthi einen engen Draht zum Iran haben ist unumstritten. Ob sie von ihnen gesteuert werden ist fraglich. Es heißt, diese Terroristen handelten und entschieden nach eigenen Prinzipien und Prioritäten. Das macht sie politisch schwer einschätzbar.
“Die Huthi nutzen andere Technologien als die Piraten vor Somalia: Drohnen, Raketen und Schnellboote. Sie haben auch eine andere Motivation, denn sie greifen Schiffe im Rahmen eines regionalen Konflikts an, der sich gegen Israel richtet, und nicht aus wirtschaftlichen Gründen.”
POLITICO
Nach einigem Zögern scheint sich nun die Europäische Union nicht mehr aus dem neu aufflammenden Konflikt heraushalten zu wollen und zu können. Schließlich betrifft eine Abschnürung des Roten Meeres ihre ureigensten Interessen als Handelsmacht. Die Tesla-Fabrik in Brandenburg hat bereits die Autoproduktion gestoppt, weil keine Einbauteile per Schiff mehr ankommen. Viele weitere Produktionsstätten stehen vor sich leerenden oder schon leeren Teilchenlagern. Und so sieht es nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten EU aus.
Rotes Meer ist Kampfarena
Die Vorbereitungen für eine bewaffnete EU-Marineoperation zum Schutz der internationalen Schifffahrt haben bereits begonnen. Laut Insidern liegt in Brüsseler Schubladen und in den 27 EU-Hauptstädten ein Krisenmanagementkonzept. Danach will Europa eigenständig handeln, also nicht unter Führung der NATO oder der USA. Der Grund: Europa will einerseits zum Schutz der freien Seefahrt beitragen, will aber nicht gleichzeitig eine Verschärfung der Spannungen herbeiführen.
“Europa versucht, nach dem Gaza-Krieg ein weiteres Übergreifen auf die Region so weit wie möglich zu vermeiden, und daher ist das Letzte, was man will, eine neue aktive Frontlinie”
Farea Al-Muslimi, Royal Institute of International Affairs (Chatham House), London
Die Kosten der EU-Mission würden über die Europäische Friedensfazilität abgewickelt. Der Auftrag könnte auf Begleitung ziviler Schiffe bis hin zu deren militärischer Verteidigung lauten.
“Das Rote Meer ist zum Schauplatz von Kämpfen, Raketen, Drohnen und Kriegsschiffen geworden”
Hassan Nasrallah, Generalsekretär der libanesischen Terrororganisation Hisbollah
Ob auch die Bundesmarine ins Rote Meer geschickt wird, das ist zum Zeitpunkt dieses Redaktionsschlusses unklar. Rein von der Fähigkeit her hätte Verteidigungsminister Boris Pistorius zwei geeignete Schiffe im Arsenal. Dafür müssten nach unbestätigten Informationen noch Führungs- und Koordinierungsfragen geklärt werden. Frankreich hat unterdessen bereits die Fregatte „Languedoc“ unter nationalem Kommando vor Ort geschickt. Auch Griechenland und Dänemark wollen in Kürze im Roten Meer sein und sich dem US-Verband anschließen zu wollen.
Erzwingen die Huthi einen Kriegsschauplatz?
Nein, sagen Analysten. Die Angriffe sollten lediglich die Fähigkeiten der militanten Huthi schwächen. Mehr nicht. “Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass die USA und das Vereinigte Königreich in der Region von der Verteidigung zur Offensive übergegangen sind,” sagt Behnam Ben Taleblu, Senior Fellow bei der Denkfabrik The Foundation for Defense of Democracies. Tatsächlich gibt es keine Berichte über Angriffe auf die Führung oder die Kommandozentralen der Huthi.
Pessimisten sehen das anders. Sie sagen, die Anti-Houthi-Angriffe im Roten Meer drohten durchaus einen größeren Konflikt auszulösen, “obwohl die Regierung Biden und ihre Verbündeten seit Wochen versuchen, die Spannungen im Nahen Osten zu beruhigen und zu verhindern”.
Das wird kein kurzer Spaziergang
Zumindest was die Rhetorik angeht ist die Huthi-Reaktion stark. Der Oberste Politische Rat der Kämpfer erklärte, “alle amerikanisch-britischen Interessen sind zu legitimen Zielen geworden”. Ein Sprecher sagte, die Luftangriffskampagne sei “die größte Torheit in der US-Geschichte”. Daraus schließen skeptische Analysten, dass sich die vom Iran unterstützte Miliz durch die Angriffe nicht abschrecken lassen wird. Sie könnte versuchen, die USA und andere Länder immer tiefer in den Konflikt hineinzuziehen, um so den “Flächenbrand” auszulösen, den die Hamas nicht herbeiterrorisieren konnte.
Klar ist: Die militärische Präsenz des Westens im Roten Meer und wohl auch darum herum dürfte eine mittel- bis langfristige Angelegenheit werden. Handelsschiffe können zwar bewaffnete Wachleute an Bord nehmen und tun das auch, um erfolgreich geldgierige Piraten abzuwehren. Aber die Bedrohung durch die Huthi ist nichts, womit eine einzelne Reederei oder gar eine Gemeinschaft von Reedereien umgehen kann, meint Marco Forgione, Generaldirektor des Institute of Export & International Trade. Dies ist ein politisches und ein militärisches Problem.”
“Wenn die Huthi Hubschrauber einsetzen, befinden wir uns in einem etwas anderen Setting als bei gewöhnlicher Piraterie. Und wenn sie Raketen einsetzen, um zu schaden, kann man nicht wirklich erwarten, dass ein handelsübliches Schiff eine hochentwickelte Raketenabwehrtechnologie an Bord hat.”