Europa: Themen der Woche
(Europäische Union) — Was hat die Macher in der EU und die Beobachter von Europa vergangene Woche in Sachen Europaagenda an- und umgetrieben?
- Tränen auf Capri — was war da los? Siehe unten.
- Sudankrieg: Europa schaut weg… Scrolle runter.
- Der furchtbare Gast des Erdoğan: Details siehe unten.
Das alles und noch viel mehr: von WOLF ACHIM WIEGAND
Europaagenda mit Streit und ein Gipfel der Tränen:
Mit Hochdruck versuchen die Spitzen der europäischen Politik bis in diese Stunden hinein eigene und Weltprobleme zu lösen. Orte des Geschehens: Brüssel und Capri.
In Brüssel gingen die 27 Staats- und Regierungschefs der EU nach zweitägigen Verhandlungen vorige Nacht in wesentlichen Fragen uneins auseinander. Besonders umstritten: Rezepte für den Wirtschaftsaufschwung. Regierungen wie die von Italien wollen neue Investitionen durch mehr Staatsschulden finanzieren. Deutschland und andere lehnen das ab und bevorzugen Privatinitiativen.
Kein Streit sondern Einigkeit dagegen bei anderen Punkten:
- Aufbau einer zentralen Task-Force gegen russische Einflussnahme auf die EU-Wahl am 9. Juni,
- neue Sanktionen gegen Iran (Grundsatzbeschluss, Umsetzung wird ausgearbeitet)
- Wiederannäherung an die Türkei.
rnd.de/wirtschaft (Finanzen) euractiv.de (Task Force) zeit.de (Türkei) welt.de (Iran)
Tränen auf der italienischen Mittelmeerinsel Capri: Bei der Tagung — die heute andauert — treffen sich die Außenminister der sieben weltweit wichtigsten Industrieländer (G7). Hauptthema: Der Konflikt zwischen Israel, Iran und Palästinensern. Beobachter berichten:
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock war den Tränen nahe, weil das Ringen um angebrachte Reaktionen für Nahost wie für die russisch bedrängte Ukraine kaum Resultate zeigte. Auch ihr Ukraine-Kollege Dmytro Kuleba schien zeitweise nah beim Wasser zu sein.
Das Problem: Im Jahr drei des blutigen Krieges macht die russische Armee derzeit Geländegewinne. Währenddessen muss die Ukraine um weitere Hilfen vor allem aus den USA bangen. An der Front neigt sich das Waffenarsenal dem Ende zu. Und doch tun sich alle mit Hilfe schwer. t‑online.de (G7)
Europaagenda: Zwei Zitate, die beim Vergleich Bände sprechen:
Europa muss die stärkste politische Einheit der Welt werden, da es alle Möglichkeiten dazu hat. Polens Regierungschef Donald Tusk setzt hohe Ziele
Die Unterstützung der Ukraine hat sich zu einem Trauerspiel entwickelt. Die ukrainische Führung ist verzweifelt, muss schon fast um weitere Unterstützung aus dem Westen betteln. T‑Online-Reporter Patrick Diekmann findet das Verhalten der G7-Staaten tragisch.
Migranten lassen Zypern verzweifeln:
Die unweit von Syrien und Libanon gelegene EU-Inselrepublik Zypern bearbeitet keine Asylanträge von Migranten mehr. Die Aufnahme- und Registrierlager seien überfüllt, sagt die Regierung in Nikosia. Die Aussetzung der Bearbeitung soll die EU dazu zwingen, mehr zur Eindämmung illegaler Ausreisen aus Syrien und Libanon zu tun.
Laut amtlichen Zahlen sind seit Januar 4.000 Menschen in Booten übers Mittelmeer gekommen. Das sind gemessen an der Bevölkerungszahl so viele, als seien 340.000 Geflüchtete nach Deutschland gekommen. Zypern – das 1,2 Millionen Einwohner hat – stemmt damit im EU-Vergleich die relativ meisten Asylanträge. swissinfo.ch taz.de/Flucht-und-Migration
Sudankrieg – keiner schaut hin:
Europa unterschätzt die Auswirkungen des Bürgerkrieges im zerfallenen nordostafrikanischen Staat Sudan. Diese Meinung vertritt NZZ-Afrikareporter Samuel Misteli. Nachdem bereits 8,5 Millionen Menschen vertrieben worden seien, könne das riesige Gebiet zur Spielwiese für Dschihadisten und Menschenhändler werden. Die Kämpfe zwischen nationaler Armee und einer Miliz gelten als die größte humanitäre Krise der Welt.
Unterdessen haben Deutschland, Frankreich und die EU auf einer Ministerkonferenz in Paris nach einer politischen Lösung im Rahmen der Europaagenda gesucht. Das kommt aber zu spät, meint FAZ-Kommentator Alexander Haneke. Folge des zu späten Auftauchens auf der Europaagenda: Das politische Versagen „könnte in Form von Migrationsbewegungen bald bis nach Europa zu spüren sein.“ nzz.ch/meinung faz.net/aktuell
Europaagenda bei den Streitkräften — Alle ziehen blank:
Ein bitteres Bild von den militärischen Fähigkeiten Europas zeichnet die WELT nach ausführlicher Auswertung des kürzlichen Angriffs von Iran auf Israel. Im Nahen Osten – aber auch in der Ukraine – zeige sich, dass künftige Kriege vor allem mit Raketen ausgetragen würden. Dazu sei Europa jedoch nicht im Mindesten in der Lage – weder bei der Abwehr noch in der Offensive. Überall mangele es an Material und Systemen. Die neuen Realitäten seien „bei Weitem“ noch nicht in den Köpfen vieler Politiker angekommen.
Fazit: Europa unternehme bisher keine konzertierten Anstrengungen, diese Fähigkeitslücken zu schließen. welt.de/politik
EU-Postenwechsel:
Keine zwei Monate vor der Europawahl, die auch die Europaagenda der Brüsseler Machtverteilung mitbeeinflussen wird, hat der Aufgalopp für die Besetzung von Ressorts in der Europäischen Kommission begonnen.
Die spanische Sozialistin Teresa Ribera (unten links im Bild) bringt sich als künftige Kommissarin für Klima ins Gespräch. Die 54jährige Ministerin für ökologischen Wandel kann ihre Erfahrungen im Kabinett von Ministerpräsident Pedro Sánchez einbringen. Ribera hat sich mit Kritik an deutschen Bedenken beim Verbrenner-Aus hervorgetan, was sie in manchen Kreisen “adelt”. euractiv.de
Unterdessen hat die liberale EU-Vizepräsidentin Věra Jourová (59, rechts) aus Tschechien das Amt von Justiz-Kommissar Didier Reynders übernommen. Der Niederländer will Chef der Menschenrechtsinstitution Europarat werden und muss sich den Regeln der Europaagenda folgend für die zweimonatige Bewerbungszeit beurlauben lassen. Jourová ist bei der Kommission weiter für Werte und Transparenz zuständig. politico.eu
33,7
Jede dritte Forschungsstelle in der Europäischen Union ist mit einer Frau besetzt (33,7 %). Die höchste Frauenquote in diesem Bereich hat Lettland, wo Frauen jede zweite Position (49,8 %) einnehmen. Am deutlichsten zurück liegt Tschechien (27,1 %). destatis.de
Vorfahrt für China-Busse:
Neben der Schwemme an chinesischen E‑Pkws kommt der europäische Markt auch durch volksrepublikanische E‑Busse unter Druck. Nach Medienangaben dürfte das Reich der Mitte künftig massiv über eine Produktionslinie in Ungarn punkten, die der weltweite Innovationsführer BYD (Shenzhen) aufbaut. Damit wird sich der chinesische Konzern an Ausschreibungen europäischer Verkehrsbetriebe für Busse mit schlankem CO2-Fußabdruck beteiligen.
BYD punktet schon jetzt u. a. bei Lieferzeiten und deren Einhaltung. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigt an, die Datensammelei durch Importautos aus China unter die Lupe nehmen zu wollen. telepolis.de rnd.de/politik
“Bei Produkten aus chinesischer Fertigung sollten wir uns des Risikos des Abflusses von Daten bewusst sein… Denken Sie ans Erfassen von Bewegungsmustern von Einzelpersonen.” Für EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wirken E‑Autos aus China wie rollende Spionagestationen.
Was für ein Gast!
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan empfängt am Wochenende offiziell den in Katar versteckten politischen Führer der palästinensischen Terrormiliz Hamas, Ismail Haniyeh. Nach seinen Worten handelt es sich um eine „Befreiungsbewegung“. Die Hamas erklärt: „Wir schätzen die Worte Seiner Exzellenz sehr.“
Haniyeh ist dafür verantwortlich, dass am 7. Oktober 2023 hunderte Gewalttäter aus Gaza in Israel einfielen, etwa 1.200 Menschen bestialisch töteten und mehr als 240 Personen entführten, die meisten bis heute, darunter Babys.