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Die Schiff­fahrt reagiert auf den Kli­mawan­del. Bei der Umstel­lung auf alter­na­tive Antriebe herrschen große Ambi­tio­nen. Die Kosten jedoch sind immens, die Skep­sis noch groß.

von Wolf Achim Wie­gand (zuerst erschienen in FORUM — Das Wochen­magazin)

Deutsch­lands größtes Schiff: Die „Berlin Express“ beim Erstein­lauf im Heimath­afen Ham­burg — Foto: Hapag-Lloyd

Ham­burg (waw) — Michael Kowitz hat einen der begehrtesten Jobs in der Schiff­fahrt. Er steuert als Kapitän das größte Schiff, das je unter deutsch­er Flagge die Welt­meere durch­pflügt hat. Die nagel­neue „Berlin Express“ – im Som­mer 2023 im Ham­burg­er Hafen von Präsi­den­ten­gat­tin Elke Büden­ben­der getauft – fährt im Lin­ien­di­enst regelmäßig zwis­chen Asien und Europa hin und her. Mit ein­er Länge von 400 Metern und ein­er Bre­ite von 61 Metern ist die „Berlin Express“ ein­er der dick­sten Con­tain­er-Pötte der Welt. Fast 24.000 Con­tain­er kann er huck­epack nehmen.

„Es ist jedes Mal ein gutes Gefühl, wenn es dann geschafft ist,“ sagt Kowitz, der das riesige Schiff auf sein­er wochen­lan­gen Fahrt bei jedem Wind und Wet­ter durch fel­sige Streck­en, schmale Hafene­in­fahrten und enge Routen wie den Suezkanal navigieren muss. „Das fordert unglaublich viel Konzen­tra­tion.“

Käpt’n Kowitz ken­nt sein Riesen­schiff wie aus dem Eff­eff. Schon beim Bau der „Berlin Express“ in der süd­ko­re­anis­chen Werft Han­wha Ocean war er als Bauauf­se­her für die Reed­erei Hapag-Lloyd zuge­gen. Deshalb ken­nt sich der Mann, der in der ehe­ma­li­gen DDR bei der Deutschen See Reed­erei (DSR) in Ros­tock ange­fan­gen hat, bestens mit dem Ozeangi­gan­ten aus. Dazu gehört der tief im Bauch einge­baute Motor, den ein soge­nan­nter Dual-Fuel-Antrieb in Bewe­gung hält. Das heißt, dass die „Berlin Express“ jed­erzeit wahlweise mit herkömm­lichem Schw­eröl oder mit Flüs­sigerdgas angetrieben wer­den kann.

Die „Berlin Express“, die noch fünf Schwest­er­schiffe bekommt, erfüllt inter­na­tion­al vere­in­barte Umwelt- und Kli­ma­s­tan­dards. Die inter­na­tionale Schiff­fahrt, die 90 Prozent des weltweit­en Waren­han­dels abwick­elt, ist mit über ein­er Mil­liarde Ton­nen Treib­haus­gas ver­ant­wortlich für drei Prozent der weltweit­en Treib haus­gas-Emis­sio­nen. Wäre die Seefahrt ein Staat, stünde sie vor Deutsch­land auf Platz sechs aller CO2-Emit­ten­ten.

Mit ihrem Flüs­sig­gas-Tank kann die „CMA CGM Jacques Saadé“ zwei Monate ohne Nach­tanken unter­wegs sein — Foto: Wolf Achim Wie­gand

Treibhausgase bis 2050 reduzieren

Die Inter­na­tionale Seeschiff­fahrts-Organ­i­sa­tion (IMO) der Vere­in­ten Natio­nen hat fest­gelegt: Die weltweite Schiff­fahrt soll die Treib­haus­gas-Emis­sio­nen bis zum Jahr 2050 auf null reduzieren. Alle Emis­sion­squellen sollen entwed­er abgeschafft oder durch Abschei­dung­stech­nik aus­geglichen wer­den. Das bedeutet, dass sich die Seefahrt­branche rund um den Globus inten­siv mit dem The­ma „alter­na­tive Treib­stoffe“ beschäfti­gen muss.

Große Ziele hat Hapag-Lloyd-Vor­stand­schef Rolf Eric Habben Jansen. Sein Ziel ist es, den führen­den deutschen Reed­ereikonz­ern bis 2045 kli­ma­neu­tral zu machen. „Doch es liegt noch eine län­gere Wegstrecke vor uns,“ erk­lärt Habben Jansen, der eine Flotte von 252 Con­tain­er­frachtern kom­mandiert.

Auch ander­swo in der Welt denken Reed­er längst über die Umstel­lung auf LNG-Treib­stoff nach. Vor­re­it­er war das in Mar­seille behei­matete Schiff­fahrts- und Logis­tikun­ternehmen CMA CGM. Ihr Mega­max-Con­tain­er­schiff „CMA CGM Jacques Saadé“ ging bere­its 2020 mit einem Tank auf Fahrt, der hin­ter vier Iso­la­tion­ss­chicht­en – darunter ein Gehäuse aus ros­t­freiem Edel­stahl – rund 18.600 Kubik­me­ter ver­flüs­sigtes Erdgas­es bunkern kon­nte. Diese Menge reicht für zwei Monate.

  • LNG beste­ht zu rund 98 Prozent aus Methan, ist far­b­los und ungiftig.
  • Hergestellt wird es durch das Her­abkühlen von Erdgas auf minus 164 Grad Cel­sius.
  • Effekt: Das Vol­u­men wird um das 600-fache ver­ringert.

Probleme mit dem LNG-Preis

Die „Lau­ra Mærsk“, im Sep­tem­ber vom Stapel gelaufen, ist das erste Con­tain­er­schiff mit Methanolantrieb — Foto: FORUM by pic­ture alliance/dpa

Die Umstel­lung auf LNG ist nicht ein­fach, weil es ein Ver­sorgungs- und Preis­prob­lem gibt. Auch als Folge des Ukraine-Krieges hat sein Preis in den ver­gan­genen einein­halb Jahren kräftig ange­zo­gen. Bis zum Ein­marsch Rus­s­lands in das Nach­bar­land kam LNG zu einem nicht uner­he­blichen Teil aus Rus­s­land. West­liche Sank­tio­nen und Pipeline-Schließun­gen haben die Ver­füg­barkeit verk­nappt und die Kosten in die Höhe getrieben.

Zudem gibt es derzeit noch keine flächen­deck­ende Ver­sorgungsin­fra­struk­tur. Längst nicht jed­er Hafen hat eine LNG-Tankstelle. Das ist auch der Grund, warum der schweiz­erische Betreiber MSC Cruis­es zwar laut Eigen­wer­bung den Anspruch hat, die „tech­nol­o­gisch fortschrit­tlich­sten Kreuz­fahrtschiffe der Welt“ fahren zu lassen, aber sein einziges LNG-Schiff, die „World Europa“, mit Marinediesel auf die Reise schickt. Im Ziel­ge­bi­et Naher Osten sei LNG schlicht nicht zu haben, teilt MSC mit. Als erstes LNG-Kreuz­fahrtschiff der Welt fährt seit 2018 bei Aida Cruis­es (Ros­tock), die „Aidano­va“. „Wir wer­den diesen Weg der kon­tinuier­lichen Weit­er­en­twick­lung kon­se­quent weit­erge­hen“, ver­spricht Aida-Chef Felix Eich­horn.

Bei Hapag-Lloyd in Ham­burg blickt man angesichts der LNG-Prob­leme par­al­lel auf andere schad­stof­farme Treib­stoffe. Dazu gehören der syn­thetis­che Indus­triealko­hol Methanol, die gas­för­mige Verbindung Ammo­ni­ak oder sog­ar die Wind­kraft. Für let­ztere entwick­eln inno­v­a­tive Fir­men seit län­gerem Segel- und Rotor­lö­sun­gen. Sie sind aber nur für kleinere Ein­heit­en der Mas­sen­gut- und Kreuzschiff­fahrt geeignet. Die Zukunfts­treibstoffe Ammo­ni­ak und Methanol haben auch noch Tück­en. „Ammo­ni­ak beispiel­sweise ist hochgiftig“, betonte Habben Jansen kür­zlich in einem Inter­view. Eine Reed­erei müsse unbe­d­ingt das hohe Schutzbedürf­nis der Besatzung im Auge behal­ten. Unfälle kön­nten an Bord drama­tis­che Fol­gen haben.

Das Fam­i­lienun­ternehmen Maer­sk aus Däne­mark, das die zweit­größte Han­dels­flotte der Welt dirigiert, beschäftigt sich indessen inten­siv mit Methanol. So laden der Schiff­fahrt­skoloss aus Kopen­hagen und der US-Einzel­han­dels­gi­gant Ama­zon kün­ftig gemein­sam eine größere Anzahl Con­tain­er nur noch auf Fahrzeuge, die grünes Methanol in den Tank pack­en. Damit wollen sie jährlich eine Reduzierung von 44.600 Ton­nen CO2-Äquiv­a­len­ten erre­ichen. Gemein­sam gehören die bei­den Welt­fir­men zum soge­nan­nten Cli­mate Pledge, einem Bünd­nis von mehr als 400 Unternehmen in 38 Län­dern, die bis 2040 Net­to-null-Emis­sio­nen erre­ichen wollen.

EU-Kom­mis­sion­spräsi­dentin Ursu­la von der Leyen taufte die „Lau­ra Mærsk“ per­sön­lich — Foto: FORUM / pic­ture alliance / Ritzau Scan­pix


Maersk will Flotte umstellen

Als Methanol-Pio­nier­ob­jekt gilt das Schiff „Lau­ra Mærsk“. Das 172 Meter lange Con­tain­er­schiff ist das weltweit erste Schiff, das in der Prax­is mit diesem Treib­stoff fährt. Er wird aus organ­is­chen Abfällen von Müllde­ponien gewon­nen.

Die „Lau­ra Mærsk“ fährt seit Sep­tem­ber über die Ost­see. Obwohl sie kein Gigant ist, fiel ihre Taufe riesig aus: Nie­mand Gerin­geres als EU-Kom­mis­sion­spräsi­dentin Ursu­la von der Leyen als Tauf­patin schmetterte die Cham­pag­n­er­flasche im Hafen von Kopen­hagen gegen den Bug. „Dieses Ereig­nis ist ein Big Deal – nicht nur für Europa, son­dern für die ganze Welt,“ schwärmte von der Leyen. Mærsk-Kli­machef Morten Bo Chris­tiansen fügte stolz hinzu: „Das Schiff zeigt, dass es geht; es ist uns gelun­gen, den Treib­stoff zu beschaf­fen und das Schiff zu bauen.“ Mærsk hat 24 weit­ere Schiffe dieses Typs bestellt und will Schritt für Schritt die gesamte Flotte umstellen.

„AIDAno­va“, seit 2018 in Dienst, fährt mith­il­fe eines Flüs­sig­gas-Antriebes — Foto: FORUM / IMAGO/Pond5 Images



Die eupho­rischen Reden über den grü­nen Wan­del der Schiff­fahrt machen die Her­aus­forderun­gen beim The­ma Nach­haltigkeit nicht klein­er. Der Kli­maschutz auf See kann die Schiffs­be­treiber bis 2050 rund 28 Mil­liar­den US-Dol­lar kosten – pro Jahr. Das hat die Welthandels- und Entwick­lungskon­ferenz der Vere­in­ten Natio­nen (UNCTAD) berech­net. Nicht kalkuliert sind Investi­tio­nen an Land für die weltweite Ver­sorgung mit alter­na­tiv­en Brennstof­fen. Um das zu wup­pen, schlägt die UNCTAD einen Regelungsrah­men vor, der für alle Schiffe gilt. Eile tue not, weil die glob­ale Flotte über­al­tert sei.

Unter­dessen denkt die Branche darüber nach, ob sie Riesen­frachter wie die „Berlin Express“ über­haupt noch braucht. Nach Jahren des „Immer-größer-immer-höher“ ist Nach­den­klichkeit in die Chefe­ta­gen des Schiffs­busi­ness einge­zo­gen. Experten sagen, die Schiff­fahrt habe die Gren­ze erre­icht, wo sich Mega-Schiffe noch wirtschaftlich und effizient betreiben ließen, denn der Welthandel wachse nicht mehr so stark. Deshalb gehe der Trend zu kleineren Ein­heit­en mit rund 17.000 Con­tain­ern. Selb­st Mærsk-Vor­stand­schef Sören Skou sagt: „Es ist ein biss­chen wie in der Luft­fahrt. Der A380 ist ja auch zu groß.“

Trotz aller Bedenken: Der Arbeit­splatz von Kapitän Kowitz auf der „Berlin Express“ ist erst ein­mal auf Jahre hin­aus gesichert. „Ich möchte Kapitän sein – das und nichts anderes,“ ver­rät der Schiffs­führer des deutschen Reko­rd­frachters. „Ein klas­sis­ch­er Büro­job ist ein­fach nichts für mich.“